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Grüne Innenpolitik vor levantinischen Kulissen

■ Israels Reaktionen auf den Besuch der Grünen: Anerkennung für ideologische Bescheidenheit / Zum „Etikettenschwindel“ wird die Reise erst im nachhinein, wenn Teile der Fraktion Israel moralische Leviten lesen / Aus Jerusalem eine kritische Betrachtung von Henryk M. Broder

Die Reise einer Grünen–Delegation nach Israel hat zu empörten Protesten und Distanzierungen geführt - nicht in Israel, wo die deutschen Grünen freundlich bis herzlich empfangen wurden, sondern in der deutschen Heimat, bei den eigenen Freunden, die sich hintergangen und verraten fühlten. Der Bundesvorstand der Grünen hat am 27. Oktober eine „Klarstellung“ veröffentlicht, in der es u.a. heißt: „Die Israel–Reise Schilys und Schoppes und die dort vertretenen Positionen entsprechen nicht der Internationalismus– und Nahost–Politik der Partei Die Grünen. Es ist unzutreffend, wenn Schily und Schoppe ihre privaten Positionen als Positionen der Grünen ausgeben. Dies zeugt zudem von einem merkwürdigen Demokratieverständnis. Schily und Schoppe haben die Politik der Grünen falsch und verzerrt dargestellt und die Grünen und deren Beziehung zur israelischen Position wie auch zu den Palästinensern einer schweren Belastung ausgesetzt...“ Für Israel unerheblich Diese Klarstellung verdient es, so ernst genommen zu werden, wie sie gemeint ist. Demnach kann angenommen werden, daß Schily, Schoppe und Wetzel (der vom Bundesvorstand übersehen wurde) in der Tat in Israel ihre „privaten Positionen“ vertreten haben, die erheblich von der offiziellen Linie der Partei abweichen. Israelische Hoffnungen, die Grünen hätten ihre Haltung in Israel geändert, können damit als wishful thinking zu den Akten gelegt werden. Was die „Klarstellung“ an sachlichen Unrichtigkeiten enthält, wird von den Betroffenen zurechtgerückt werden. Schily, Schoppe und Wetzel werden sicher erklären, wenn sie es nicht schon getan haben, sie hätten sich nicht nur „mit den rechtsradikalen Siedlern von Gusch Emunim“ getroffen, wie es ihnen der Bundesvorstand zum Vorwurf macht, sondern auch mit Vertretern von „Peace now“, was die „Klarstellung“ unterschlägt, daß also die Informationstour ein weites politisches Spektrum umfaßte, wozu selbstverständlich auch Gespräche mit PLO–nahen Palästinensern gehörten. Sie werden sicher auch auf den Vorwurf reagieren, sie hätten „jegliche kritische Distanz zur israelischen Regierungspolitik vermissen“ lassen und ihre eigenen kritischen Bemerkungen anführen. Die Frage: „Wie stehst du zu Israel, Genosse?“ wird die Grünen ebenso beschäftigen wie die Frage: „Wie stehst du zu den Juden, Kamerad?“, die die politische Avantgarde Deutschlands vor hundert Jahren beschäftigt hat. Man darf dabei nur eine Tatsache nicht aus dem Auge verlieren: Die Entschließungen und Beschlüsse der deutschen Grünen zum Nahostkonflikt sind für die Bewertung und Lösung desselben von ähnlicher Relevanz wie die Speisekarte der Bundestagskantine für die Kursentwicklung an der New Yorker Börse. Oder noch einfacher: Was die Grünen in bezug auf den Nahen Osten tun oder lassen, ist völlig wurscht, ob sie nun das Existenzrecht Israels garantieren oder die Errichtung eines palästinensischen Staates fordern - sie machen in jedem Falle deutsche Innenpolitik vor levantinischen Kulissen, nicht mehr und nicht weniger. Sympathie für „authentische Nachkriegspartei“ Das israelische Interesse an der Nahostpolitik der Grünen resultiert nicht aus der Erwartung, die Grünen würden irgendeinen Beitrag zur Beilegung des Konflikts leisten. Es gilt den Grünen als New–Comern auf der deutschen Polit–Bühne. „Aus israelischer Sicht sind die Grünen die wohl interessanteste politische Organisation in der Bundesrepublik. Dies ist die erste authentische deutsche Nachkriegspartei. Die Grünen organisierten sich und entstanden aus einer echten und wahren Protestwelle, die sich u.a. auch gegen die Versuche richtete, die Vergangenheit in Vergessenheit zu bringen“, schreibt die Tageszeitung Haaretz (vergleichbar der Süddeutschen Zeitung) zum Besuch der Grünen. Die grünen Stellungnahmen zur deutschen Vergangenheit, zur Nicht–Entschädigung der Zwangsarbeiter, zum Umgang mit Minderheiten in Deutschland wurden in Israel aufmerksam registriert und brachten den Urhebern Sympathie und einen moralischen Bonus ein. Die Erklärung von Waltraud Schoppe, sie habe bisher die existenziellen Bedrohungen, denen sich Israel gegenübersieht, nicht richtig eingeschätzt, das anerkennungsvolle Staunen von Otto Schily, wie grün Israel sei und wie viele Wälder es im Lande gäbe so daß uns Waltraud vor lauter Bäumen....– d.K, verführten etliche Kommentatoren zu voreiligen Schlüssen: „Die positive Haltung der Grünen gegenüber Israel, die in der Vergangenheit äußerst feindlich zu nennen war, muß positiv vermerkt werden, schrieb Davar, die Tageszeitung der Gewerkschaften und nahm es hin, daß die Grünen ihr Lob für Israel immer mit der Forderung „des Rechts der Palästinenser auf Selbstbestimmung in einem eigenen Staat“ verbanden. Wenn die grüne Delegation also einen positiven Eindruck in Israel hinterlassen hat, dann nicht weil sie, wie es der grüne Bundesvorstand behauptet, kritiklos israelische Positionen übernahm, sondern weil die drei Grünen sich Mühe gaben, nicht als Lehrmeister aufzutreten, wie es deutsche Politiker im Ausland, von links bis rechts, mit Vorliebe tun. Sie haben sich umgesehen, mit Israelis und Palästinensern gesprochen und die Erkenntnis mitgenommen, daß die Dinge ein wenig komplizierter und viel schichtiger sind, als sie in den Resolutionen dargestellt werden. Dies ist an sich nichts, wofür die Grünen gelobt werden müßten, eher eine Selbstverständlichkeit. Nur muß man bei den Grünen gelegentlich auch für Selbstverständlichkeiten dankbar sein. Schließlich hat eine grüne Delegation vor knapp zwei Jahren den Nahen Osten bereist und eine Schlußerklärung, in der Israel verurteilt wurde, bereits vor Antritt der Reise fertig formuliert. Es kam dann nur noch darauf an, die vorgefundene Realität der mitgebrachten Theorie anzupassen, was den Reisenden mühelos gelang. Schily, Schoppe und Wetzel haben sich nun in den Augen ihrer Parteifreunde eines furchtbaren Verbrechens schuldig gemacht: Sie sind nicht mit einer vorgefaßten Meinung nach Israel gefahren. Wenn ihnen nun vom Bundesvorstand vorgehalten wird, sie würden „politischen Etikettenschwindel“ betreiben, indem sie „ihre Privatpositionen als Parteipositionen ausgeben“, dann ist die Frage angebracht, wie dann die wirklichen Parteipositionen aussehen und von welchen Grünen sie authentisch vertreten werden. Doppelbödige Moral Es gibt in der grünen Fraktion einige „Papers“, die als Diskussionsmaterial zur „Palästinadebatte“ in Umlauf gebracht worden sind. Wer immer sehen möchte, mit was für einem Schwung sich Kleingärtner zu Großagrariern aufwerfen, der sollte diese Papiere studieren. „Als Anti–Atom– Partei wie politische Formation, die sich den Zielen Abrüstung und Entspannung verschrieben hat, können die Grünen zu der Entwicklung in der Region nicht schweigen“, heißt es in einem Papier der Abgeordneten Olms und Stratmann. Mit „Region“ ist der Nahe Osten gemeint, speziell „Palästina“, ein Landstrich, dem die ungeteilte Aufmerksamkeit der Grünen gilt, nachdem die heimatlichen Gefilde erfolgreich befriedet worden sind, die Pershings und die SS20 verschrottet wurden und die Bundeswehr der Heilsarmee einverleibt wurde. Und weil die Grünen zu der Entwicklung in der „Region“ nicht schweigen können, sind sie angetreten, „die Verantwortung Israels für das Wettrüsten in der Region anzuprangern; was den Schluß nahelegt, daß die anderen Staaten in der Region allein deswegen noch bewaffnete Truppen unterhalten, weil Israel nicht abgerüstet hat. Aber damit hat es sich noch nicht. Israel hat auch die Bundesrepublik ins Atom–Komplott verwickelt, woraus die Abgeordneten Olms und Stratmann das Verdikt ableiten: „Die militärische Zusammenarbeit mit dem NS–Nachfolgestaat ist sicherlich eines der dunkelsten Kapitel der israelischen Politik.“ Der ganze Charme dieser Feststellung erschließt sich dem Leser erst beim zweiten Nachlesen. Abgeordnete des deutschen Bundestages, die dem NS–Nachfolgestaat dienen und von seinen Leistungen profitieren, die sich von eben diesem Staat unterhalten lassen, ohne an Gewissensbissen zu leiden, daß es sich um den NS–Nachfolgestaat handelt, finden es moralisch schwer erträglich, daß ausgerechnet Israel sich auf eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit diesem Staat einläßt. Genau, und ich bin ein mieser kleiner, loyaler Kollaborateur des sich weltweit gebärdenden Monopolkapitals, weil ich mich nicht traue, schwarzzufahren - d.K.) Die Juden, als Opfer vom Dienst zu einer besonderen Moral verpflichtet, sollen jene Enthaltsamkeit leisten, die deutschen Abgeordneten nie in den Sinn käme. Wobei das alte Haftungsprinzip, das schon immer die Philosophie des Antisemitismus konstituiert hat, wieder zum Einsatz kommt: Einer für alle und alle für einen: „Jeder militärische Angriff Israels, jedes israelische Drehen an der Rüstungsspirale, jedes Vergehen am palästinensischen Volk ist in Wahrheit eine politische und moralische Niederlage für das jüdische Volk...“ Hier wird nicht einmal mehr der kosmetische Versuch unternommen, zwischen Juden und Israelis zu unterscheiden. Für die Taten und Untaten der Israelis sind Schlichtweg alle Juden kollektiv verantwortlich, und das sowohl moralisch wie politisch. Mit dieser Begründung kann praktisch jeder Jude zur Verantwortung für Israels Politik gezogen, kann jeder Überfall auf einen jüdischen Kindergarten, eine Schule, eine Synagoge gerechtfertigt werden. Von den vielen Reaktionen auf die „Diskussionsvorstöße in der Grüninternen/Fraktionsinternen Palästinadebatte“ ermutigt, hat die Abgeordnete Olms zusammen mit dem Fraktionsmitarbeiter Schulze–Marmeling im September ein weiteres Papier vorgelegt, das sich mit „Selbstbestimmungsrecht und Nationalstaat“ einerseits und den „palästinensischen Ambitionen“ auf einen eigenen Staat andererseits beschäftigt. In diesem Papier werden einige durchaus kluge und nachdenkenswerte Fragen gestellt, z.B. die: „Warum müssen eigentlich Palästinenser für deutsche Verbrechen büßen, nicht aber die Hitler–Generation und ihre Sprößlinge? Warum gibt es eigentlich - den deutschen Verbrechen zum Trotze - einen Staat mit dem Namen Bundesrepublik Deutschland, nicht aber einen palästinensischen Staat?“ Palästina an der Waterkant? Gut gefragt, in der Tat. Statt aber einen Schritt weiter zu gehen, die Auflösung der Bundesrepublik zu fordern und Schleswig–Holstein oder Hessen den Palästinensern als eine Art territoriale „Wiedergutmachung“ anzubieten (nachdem die Juden, wie es deren Verständnis von Schadensregelung entspricht, mit Geld wiedergutgemacht worden sind), bewegen sich Olms und Schulze–Marmeling in eine ganz andere Richtung. Sie diskutieren, ganz im Ernst und ohne zu erröten, die Möglichkeit der „Auflösung des Staates Israel“; das liest sich dann so: „Der palästinensische Staat existiert ja noch gar nicht. Die Palästinenser zur Aufgabe ihrer nationalstaatlichen Aspirationen zu bewegen, ohne zuvor, zumindest aber gleichzeitig die Auflösung des Staates Israel zu fordern, läuft darauf hinaus, sich der normativen Kraft des Faktischen zu unterwerfen...Der Palästinenserstaat ist bislang eine pure Fiktion, im übrigen...eine Idee, die nur deshalb entstehen konnte, weil Israel an einem jüdischen Nationalstaat festhält und einen säkularen - nichtreligiösen und nichtnationalen - Staat im Nahen Osten ablehnt. Wenn heute nur noch von einem palästinensischen Nationalstaat die Rede ist, so ist dies also israelischer Intransigenz geschuldet. Möglicherweise ist das Problem der Palästinenser tatsächlich dadurch zu lösen, daß der israelische Nationalstaat - mit all seinen repressiven und expansiven Tendenzen - sich auflöst. Merkwürdigerweise wird dies indes nicht thematisiert...“ Das Bemerkenswerte an diesem Papier ist nicht nur sein Inhalt, sondern vor allem die Attitüde, mit der es vorgetragen wird. Da plaudern zwei Nachwuchspolitiker über die Möglichkeit, einen Staat zu gründen und die Notwendigkeit, einen anderen aufzulösen, als ginge es darum, Gesellschaften ins Handelsregister einzutragen oder die Einträge wieder zu löschen. Wobei die Frage der Selbstbestimmung, die für die Palästinenser so zentral ist, für die Israelis offenbar nicht gilt. Es könnte doch immerhin sein, daß die Juden an der Planung ihrer nationalen Zukunft auch beteiligt werden, ein wenig mitreden möchten. Seltsam, daß allein Olms und Dietrich Schulze–Marmeling auf diesen Gedanken nicht kommen, wo sie doch mit dem Problem der Selbstbestimmung von ethnischen Einheiten tagtäglich im „Arbeitskreis Dritte Welt“ zu tun haben. Was noch niemand thematisiert hat, wird nun von Olms und Schulze–Marmeling mutig vorgetragen. Es gäbe nur zwei Wege, das Nahostproblem zu lösen: „entweder die Auflösung des Staates, der bereits existiert oder die Gründung eines weiteren Separatstaates durch die unterdrückte, ausgegrenzte Population.“ Da Israel die zweite Lösung nicht zuläßt, bliebe nur die erste übrig. Wenn schon die Palästinenser keinen eigenen Staat haben, dann sollen die Juden auch keinen haben. Dies ist ein Gebot der Gerechtigkeit und der Ausgewogenheit. Wo den Deutschen die Endlösung der Judenfrage nicht ganz gelungen ist, möchten es ein paar Funktionsträger des NS–Nachfolgestaates wenigstens mit einer Auflösung Israels versuchen. Das Begehren ist verständlich, es dürfte sich freilich kaum realisieren lassen. In jedem Falle sollte man dem Bundesvorstand der Grünen für die Klarstellung dankbar sein, daß Schily, Schoppe und Wetzel in Israel nur ihre privaten Positionen und nicht die Position der Partei vertreten haben. An der Integrität der Drei kann es keinen Zweifel geben Bei deiner bin ich mir da nicht so sicher; es gibt sicherlich vertretbare Formen von Provokationsjournalismus - dies hier sind nur dummdreiste Ableitungen mit dem Zweck, den latenten Antisemitismus in der BRD herbeizubestätigen. - d.K. Dennoch haben die Skeptiker recht behalten, deren Befürchtungen über den „Etikettenschwindel“ nunmehr vom Bundesvorstand der Grünen bestätigt wurden.

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