I N T E R V I E W Kein Signal für Eskalation

■ Christian Lochte, Chef des Hamburger Verfassungsschutzes, zu den Todesschüssen an der Startbahn

taz: Wie Bewerten Sie die Schüsse auf die Polizisten an der Startbahn? Sind Sie in Ihren Augen ein Signal für eine Eskalation? Christian Lochte: Es ist kein Signal für eine Eskalation. Die Schüsse waren erstmalig und ich meine auch einmalig. Gibt es von Ihrer Meinung abweichende Positionen bei denen, die staatlicherseits die Szene so intensiv beobachten wie Sie? Ein Meinungsaustausch darüber hat noch nicht stattgefunden. Aber wenn ich sage, es waren erstmalig Schüsse von Demonstranten, dann bedeutet dies, daß weder in der APO–Zeit noch in den 70er Jahren durch die militanten K–Gruppen es je so etwas gegeben hat. Und zwar deshalb, weil sich, wie wir wissen, die militanten Gruppen so etwas selber verboten haben. Dem kann ich nur zustimmen, trotzdem interessiert es mich natürlich, worauf ihre Analyse beruht? Sie beruht auf vielfältigen, von den jeweiligen Gruppen ausgehenden Schriften und Papieren und auf der Bestätigung durch V– Leute. Glauben Sie aus Ihrer Kenntnis der Lage und Einschätzung des Demonstrationsgeschehens, daß es neuer Gesetze bedarf? Nein, es bedarf keiner neuen Gesetze. Es ist schon bemerkenswert, daß nach so kurzer Zeit eine Tatwaffe gefunden und ein Tatverdächtiger gefaßt wurde. Daraus ergibt sich doch wohl, daß man die Szene sehr genau kennt. Sowohl beim Verfassungsschutz als auch bei der Polizei gibt es einen guten Überblick darüber, wer zum Gewaltpotential bei Demonstrationen gehört. Deshalb überrascht es mich nicht, daß man so schnell fündig geworden ist. Sie haben ja in einem Gespräch eine sehr genaue Einschätzung der doch sehr heterogenen Autonomen–Szene geliefert und gesagt, es sei ein Einzeltäter. Ich habe ja nicht Einzeltäter gesagt, sondern gesagt, es waren ein oder zwei - das ist egal - für sich, als Kleinstgruppe, ohne das mit anderen besprochen zu haben. Ich gehe davon aus, daß in dem Fall, daß drei oder vier Leute so etwas vorhaben und sie es den anderen unterbreiten würden, würden die doch auseinandergenommen werden. Die „Profis“ unter den Autonomen würden doch sagen, der oder die haben doch nicht mehr alle Tassen im Schrank. Glauben Sie, daß es in der Szene Konsequenzen aus den Frankfurter Schüssen geben wird? Ich hoffe, daß es deutlich dahin führt, daß die Gewalt abnimmt. Mißtrauisch macht mich, daß nun schon betroffene autonome Gruppen sagen, es war keiner von uns. Und darüber hinaus erklären, sowas kann nur eine Provokation gewesen sein. Damit streifen sie alle Verantwortung von sich ab, und da sehe ich natürlich schwarz. Denn eins muß ich sagen und das müssen sich die anderen autonomen Gruppen zuordnen lassen: Wer als Haßkappenfraktion sprachlich skandierend auf Demonstrationen so viel Haß predigt insbesondere gegenüber der Polizei und auch so militant gegen die Polizei vorgeht, nicht nur Steine wirft, sondern auch mit Leuchtmunition und Gasgranaten schießt, der darf sich nicht wundern, wenn irgendein Anhänger das dahingehend interpretiert, daß es auch erlaubt sei, eine Waffe zu nehmen und zu schießen. Und insofern spreche ich da eindeutig von einer politischen Verantwortung, die die Autonomen da haben. Ich setze eigentlich darauf, daß diese Diskussion auch bei den verschiedenen autonomen Gruppen jetzt stattfinden wird. Interview: mtm