I N T E R V I E W Mehr Vertrauen

■ Der Polizeibeamte Manfred Mahr von der Hamburger Arbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten und Polizistinnen über die Folgen der Frankfurter Schüsse

taz: Muß man demnächst auf Demonstrationen mit polizeilichen Racheaktionen rechnen? Mahr: Als wir von den Ereignissen hörten, waren meine Kollegen, war ich, sprachlos und betroffen. Es hat mehrere Stunden gedauert, bis uns überhaupt klar geworden ist, was passiert ist. Ich glaube nicht, daß unter den Kollegen Rache geschworen wird. Natürlich gibt es Stimmen, die sagen, jetzt muß die Hafenstraße geräumt werden. Obenan steht wirklich Betroffenheit. Stimmen Sie der Polizeigewerkschaft im Beamtenbund oder den Kriminalbeamten zu, die geharnischte Forderungen aufgestellt, eine Zerschlagung der „gewalttätigen Strukturen“ verlangt haben? Wie wollen die das machen? Die Gewerkschaft der Polizei ist ernster zu nehmen; Besonnenheit ist gefragt. Straftaten sind zu verfolgen, natürlich. In dieser dramatischen Situation sollte man sich aber an die Hochzeiten des Terrorismus erinnern, an fieberhafte Gesetzesänderungen, an wahnsinnige Fahndungsaktionen. Wenn man diese Maßnahmen heute nüchtern betrachtet, wird man doch sehen, daß sie das angestrebte Ziel nicht erreicht haben. Die jetzt von Wallmann, Dregger & Co. angekündigten Gesetzesänderungen, diese Hysterie und Überreaktion sehe ich genauso. Ein strafbewehrtes Vermummungsverbot hätte die Polizistenmorde nicht verhindert. Wie wird sich nun ein Polizeibeamter fühlen, wenn er auf einer Demonstration wieder „Autonomen“ gegenübersteht? Ich sehe das als eine Einzeltat, wie Hamburgs Verfassungsschützer Lochte. Natürlich wird bei zukünftigen Einsätzen die Erinnerung an Frankfurt mitschwingen. Wir müssen aber doch nicht gleich davon ausgehen, daß alle bewaffnet sind und auf uns schießen wollen. Das wäre ein Fehler. Was hätten die Demonstranten an vertrauensbildenden Maßnahmen beizusteuern? Zum einen sollte die Politik deutlich machen, daß der Dialog mit dem Bürger erwünscht ist, die Auseinandersetzung, auch die politische Opposition. Wenn das rüber käme, was ich angesichts der Äußerungen von Wallmann und Dregger fast bezweifeln möchte - Gauweiler fordert gar ein Demonstrationsverbot vor der WAA - wäre viel getan. Auf Seiten der Veranstalter müßte versucht werden - da passiert ja auch schon mehr, als Schlagzeilen suggerieren -, den Dialog mit der Polizei suchen. Beide Seiten müssen aufeinanderzugehen, damit auch der Bürger wieder mehr Vertrauen in die Politik bekommt, das ist gefragt. Statt eines Demonstrationsverbots sollte man lieber den Bau der WAA verbieten. Mit einem Vermummungsverbot ist keinem Polizisten geholfen, damit wird er nicht geschützt, solche Gesetze bewirken mehr Eskalation als Schutz. Aber allerorten sind Maßnahmen gefragt? Wir können doch nicht eine Umkehrung dessen wollen, was in Frankfurt passiert ist und uns herabwürdigen, zu sagen, jetzt erst recht, jetzt machen wir etwa die besetzten Häuser in Hamburg dem Erdboden gleich. Im Gegenteil, hier könnte sich Demokratie und politische Kultur mal beweisen und anhand der Hafenstraße versucht werden, zu einer friedlichen Lösung zu kommen. Wer kann denn da eine Räumungsaktion wünschen. Die das am lautesten schreien, werden an dem Tag weit weg sein. Ich möchte dort nicht eingesetzt sein, wünsche es meinen Kollegen und auch den Bewohnern nicht. Ich wünsche mir, daß unterm Strich steht: Alle haben einen Schritt zurück gemacht, aber im Endeffekt einen Schritt vorwärts. Interview: Benedict M.Mülder