piwik no script img

Ärzte nicht nur gegen den Atomkrieg

■ Von der Bedrohung zum Handeln kommen: „Wir werden Euch nicht helfen können“ Medizinerinitiative wächst ständig / Beseitigung aller atomaren und chemischen Waffen verlangt

Aus Essen Walter Jakobs

Etwa 2.000 MedizinerInnen waren der Einladung zum 7. Kongreß der bundesdeutschen Sektion der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“ (IPPNM) am Wochenende in Essen gefolgt, die in einer Abschlußerklärung dazu aufrief, jetzt „aus der Bedrohung zum Handeln zu kommen“. Gewarnt wurde vor der „Illusion“, daß mit der möglicherweise bevorstehenden Umsetzung des Mittelstreckenabkommens die größte Bedrohung schon gebannt sei. Lediglich 4% der existierenden Atomwaffen wären davon betroffen. Nur 5% des Atomwaffenpotentials reichen aber schon aus,um die ganze Welt in „einen nuklearen Holocaust (zu) stürzen“. Aber selbst ein rein konventioneller Krieg würde, wegen der großen Zahl von Kernkraftwerken und Industrieansiedlungen, in seinen „schrecklichen Auswirkungen kaum hinter einem atomaren Krieg zurückstehen“. In einem beeindruckenden Referat hatte Prof. Lohs, führender Toxikologe der DDR, am Samstag die Folgen des „chemischen Krieges ohne chemische Waffen“ geschildert. Der konventionelle Beschuß der in Europa konzentrierten chemischen Industrie in West und Ost würde „Hunderte von Quadratkilometern“ zu „regel rechten Gaskammern eines überdimensionalen Auschwitz“ machen. Erstmals war auf einem IPPNW–Kongreß die deutsche Ärzteschaft offiziell vertreten. Auch Dr.Vilmar, Präsident der Bundesärztekammer, warnte in seinem Referat davor, den Menschen für den Kriegsfall „unberechtigte Hoffnungen auf Rettung“ zu machen. Auf die Frage, warum die Bundesärztekammer nicht deutlicher gegen die Rüstungspolitk Position beziehe, verwies Vilmar auf die Verfaßtheit der Kammern, die als Körperschaften des öffentlichen Rechtes wegen der Zwangsmitgliedschaft ihrer Berufsgruppe keine allgemeinpolitischen Erklärungen abgeben dürften. Nachdem in der Vergangenheit die IPPNW im „Deutschen Ärzteblatt“ nicht selten „übel diffamiert wurde“, so ein Diskutant, scheint der Besuch Vilmars eine Phase der Entspannung in der deutschen Ärzteschaft einzuleiten. Darüber freute sich vor allem der amerikanische IPPNM–Vertreter Prof. Lown, ein Motor der Bewegung. Während die militärische Bedrohung von der IPPNW weltweit gleich eingeschätzt wird, finden sich zu den Gefahren der friedlichen Nutzung der Kernenergie sehr unterschiedliche Einschätzungen. So wird die Position der deutschen Sektion, die die Kernenergie ablehnt, weder von der russischen noch von der britischen Ärztebewegung geteilt. Prof. Ilyln, Vorsitzender der sowjetischen Strahlenschutzkommission, verteidigte die Kernenergie, zu der es wegen der allgemeinen Energiesituation in der UdSSR bisher „leider“ keine Alternative gebe. Man müsse, so der britische Vertreter, den unterschiedlichen Zweck der Kernspaltung sehen. Eine Ächtung auch der friedlichen Kernenergie würde die Bewegung auseinanderfallen lassen. Dagegen hatte der Münchner Prof. Begemann in den Warnruf der IPPNW: „Wir werden Euch nicht helfen können“ auch die Folgen „Großunfälle kerntechnischer Art“ einbezogen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen