Nordirland: Frustrationen auf allen Seiten

■ Nach zwei Jahren besteht der Wert des anglo–irischen Abkommens, das einen Versöhnungsprozeß einleiten sollte, allein in seiner Existenz / Die Protestanten mußten die Nutzlosigkeit ihres Widerstands erkennen, die Katholiken ihre Erwartungen herunterschrauben

Aus Dublin Ralf Sotscheck

Gestern wurde das anglo–irische Abkommen, das einen Versöhnungsprozeß zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland einleiten sollte, zwei Jahre alt. Die Protestanten, die seit der Unterzeichnung des Abkommens dagegen rebellieren, begingen den Jahrestag bereits am Samstag, da ihnen die Sonntagsruhe heilig ist. In allen größeren Städten Nordirlands fanden Demonstrationen statt, auf denen die britische Premierministerin Thatcher des Verrats an Nordirlands Protestanten beschuldigt wurde. Aber die Demonstrationen täuschen über die tiefe Spaltung der Protestanten hinweg. Das Abkommen sollte Dublin eng umgrenzte Mitspracherechte in nordirischen Angelegenheiten einräumen. Die meisten Protestanten sahen das Abkommen als ersten Schritt in Richtung auf ein vereintes Irland. Ihre Massendemonstrationen für die Erhaltung der Union mit Großbritannien ende ten oft in Scharmützeln mit der Polizei (RUC) und Angriffen auf die katholische Bevölkerung. Der gewalttätige Protest konnte das protestantische Lager jedoch nur für einen Sommer vereinigen. Als deutlich wurde, daß Margaret Thatcher dennoch an dem Abkommen festhalten würde, machten sich Ratlosigkeit und Frustration bei den Protestanten breit. Man war gewohnt, daß bisherige britische Regierungen dem Säbelrasseln nachgaben. Der Widerstand begann abzubröckeln und die Differenzen über die zukünftige Strategie traten offen zutage. Die Führer der protestantischen Parteien, Paisley und Molyneaux, blieben bei ihrer Maximalforderung nach dem Status Quo in Nordirland, während die jüngere Garde in beiden Parteien erkannte, daß diese unflexible Politik unweigerlich in eine Sackgasse führen würde. Die Nachwuchspolitiker schlugen vor, Katholiken bis zu einem gewissen Grad an der Macht in Nordirland zu beteiligen, wodurch das anglo–irische Abkommen hinfällig würde. Der anfängliche Optimismus der katholischen Nordiren ist längst einer Ernüchterung gewichen. Ohnehin war die Euphorie nicht konkreten Verbesserungen der Lage der Katholiken geschuldet als vielmehr der Tatsache, daß die Protestanten gegen das Abkommen Sturm liefen. Man glaubte, es müsse deshalb eine positive Bedeutung für die Katholiken haben. Doch die versprochenen Reformen blieben aus. Der irische Premierminister Haughey ist mit Versprechungen nicht mehr zufrieden. Er fordert von der britischen Regierung eine Reform des nordirischen Rechtssystems, wozu Margaret Thatcher jedoch keine Bereitschaft erkennen läßt. Diese Brüskierung veranlaßte Haughey, laut über eine Verzögerung des Auslieferungsgesetzes nachzudenken. Der britische Nordirlandminister Tom King sagte daraufhin, daß er für das anglo–irische Abkommen keine Zukunft sehe, wenn Irland das Auslieferungsgesetz nicht ratifiziere. Nach dem Anschlag von Enniskillen wird das Gesetz jedoch vom irischen Parlament angenommen werden. So läßt sich mit einiger Sicherheit sagen, daß das Abkommen auch seinen dritten Geburtstag im November 1988 erleben wird, an dem dann Bilanz gezogen wird. Bisher liegt die „Leistung“ des Abkommens nur darin, daß es überhaupt noch besteht und die politischen Diskussionen in Nordirland bestimmt, ohne (außer bei der polizeilichen Zusammenarbeit) auch nur ein konkretes Ergebnis hervorgebracht zu haben.