Polit–Chaos in Hamburger Führungsetagen

■ Grabenkämpfe, Königsmörder und geistiger Beton bestimmen das Bild / Ergebnis: Unfähigkeit zu Dialog und Politik nach außen / Fall Barschel bremste Eskalation

Aus Hamburg Florian Marten

Dienstag, 2. November. Der sozialliberale Hamburger Senat tagt zum Thema Hafenstraße. Am 31.10. ist das Ultimatum der Stadt abgelaufen. Doch Senat und Hafenstraße sind sich nah wie nie zuvor: Strittig ist allein Paragraph 19, demzufolge die Hafenstraße ihre Verteidigungsanlagen vor Unterzeichnung des Pachtvertrages abbauen soll. Die Hafenstraße will dagegen unmittelbar nach Vertragsabschluß abrüsten. Im Senat geht es an diesem Tag nicht um eine Auflösung dieser minimalen Differenz. Die Hardliner in FDP und SPD wittern Morgenluft: Der Vertrag soll sofort vom Tisch. Stadtchef Klaus von Dohnanyi, dem die Hamburger Verfassung als nur gleichberechtigtem Vorsitzenden des Kollegialorgans Senat keinerlei Machtbefugnisse oder Richtlinienkompetenz zubilligt, gelingt es lediglich, eine endgültige Senatsentscheidung nochmals zu vertagen. Freitag, 6. November. Am frühen Morgen treffen Klaus von Dohnanyi und sein enger Berater und politischer Sprecher Thomas Mirow zusammen. Dohnanyi weiß, daß an seinem Stuhl gesägt wird. Die Lage ist verzwickt: Kommt es zur Schlacht um die Hafenstraße, ist Dohnanyis Sturz gut möglich. Andererseits: Wird der Bürgermeister in Sachen friedliche Lösung allzu aktiv, werden ebenfalls die Dolche von Springer–Presse und Parteirechten gezückt. Der Strohhalm, auf den Dohnanyi und Mirow schließlich verfallen: Wenn die Hafenstraße am Wochenende 7./8.11. mit der Abrüstung beginnt, könnte man die Hardliner auf eine weiche Linie einschwören. Freitag, 6. November, 12 Uhr mittags. Während Dohnanyi mit den prinzlichen Hoheiten Diana und Charles durch Hamburg flaniert, greift Thomas Mirow greift zum Telefon, um einer handverlesenen Schar von Medienvertretern folgende Botschaft zu übermitteln: Beginnt die Hafenstraße mit dem Abbau, bleibt der Vertrag auf dem Tisch. Von taz bis Radio Bremen wird Dohnanyis Versprechen umgehend veröffentlicht. Montag, 9. November. Die Hafenstraße rollt die Stacheldrahtrollen auf den Hausdächern beiseite. Inzwischen haben die SPD– Betonköpfe symbolische Maßnahmen als völlig unzureichend denunziert. Kurz darauf geifert auch Dohnanyi, spricht vom Versagen der Hafenstraße und ihrer Berater. Alles also nur eine Finte Mirow/Dohnanyi? Mitnichten. Wie schon so oft haben Fraktion und Senat den Stadtchef gezwungen, sein Wort zu brechen. Vor die Alternative gestellt, den offenen Konflikt bis hin zu Rücktrittsdrohung oder Mißtrauensvotum zu wagen, oder zu kuschen, gibt Dohnanyi nach. Dienstag, 10. November. Wieder Senatsstizung zum Thema Hafenstraße. Jetzt versagt die SPD– Räumungsriege: Statt die GSG 9, Friedrich Zimmermann oder ein effektives Räumungskonzept aus der Tasche zu ziehen, paßt die Innenbehörde. Eine schnelle Räumung sei rechtlich nicht wasserdicht zu kriegen, polizeitechnisch kaum zu bewältigen, lautet die Lageanalyse. Zudem werden die Politiker Opfer ihrer eigenen Gewaltfantasien: Die Hafenstraßenhäu Entscheidung wird um 24 Stunden verschoben. Mittwoch, 11. November. In ge trennten Sitzungen ziehen die Koalitionsfraktionen und Senat den Pachtvertrag zurück. Obwohl die Hafenstraße am Mittwochnachmittag bereits vier Baucontainer geordert hat, um auf das geringste Zeichen der Bürgerschaft mit dem Abbau zu beginnen, bleiben Stadtparlament und Politiker stur. Donnerstag, 12. November. Als in der Nacht zum Donnerstag auswärtiger Hafenstraßen–Fighter brennende Barrikaden errichten, scheinen die Träume der Betonfraktion in Erfüllung zu gehen: Eine selbstzündende automatische Eskalation des Konflikts. In diese Situation platzt ein Machtwort aus Bonn. Auf heftiges Drängen von Klaus von Dohnanyi mischt sich SPD–Bundeschef Hans–Jochen Vogel ein: Er mahnt die Betonriege zur Zurückhaltung. Ein Hamburger Bürgerkrieg könne der SPD, die derzeit mit Barschels Rückenwind trefflich vorankommt, schweren Schaden zufügen. Zur offiziellen Schlichtung in Hamburg läßt sich Vogel allerdings nicht bewegen. Zu groß erscheint ihm das persönliche politische Risiko. Mittags schlägt Senator Lange vor Presseleuten zurück: Jetzt sei Abriß das städtebauliche Ziel Nummer Eins, Räumung in rund zwei Wochen angesagt. Friedliche Lösung heißt für ihn, daß die Hafensträßler leise Servus sagen, wenn der Gerichtsvollzieher mit den Räumungstiteln aufkreuzt. Dohnanyi gebetsmühlenartig fleht dagegen um ein positives Zeichen der Hafenstraße, um Verteidigungsabbau, der dann alles wieder ändern könnte. Da zieht Robert Vogel, Chef der Hamburger FDP, einen Vorschlag konstruktiven Nachdenkens aus der Tasche: Senat und Hafenstraße unterzeichnen den Vertrag, der anschließend beim Oberlandesgericht ruht, bis die Hafenstraße innerhalb von zwei Wochen ihre Anlagen abbaut. Freitag, 13. November. Innensenator Lange verbietet eine Solidaritätsdemonstration für Samstag. Eine verbotene Demo, so sein Kalkül, eröffnet erneut die Chance auf eine Schlacht. Dohnanyi wurde von Lange überhaupt nicht konsultiert. Die Hafenstraße geht politisch erneut in die Offensive. Sie unterzeichnet den Ver trag, ändert allerdings Paragraph 19 gemäß dem Vorschlag des FDP–Mannes Vogel. Samstag, 14. November. Dohnanyi trommelt in aller Eile eine Sitzung des Koalitionsausschusses zusammen, um über die neue Lage zu debattieren. Doch auch Dohnanyis Vorstoß über das aus seiner Sicht ausichtsreichste Gremium (hier sind die Hardliner am schwächsten vertreten) scheitert. Der Vogel/Hafenstraßen–Vorschlag wird abgeschmettert. Die Situation: Obwohl die Wahlsieger Dohnanyi (SPD) und von Münch (FDP), die Parteichefs Runde (SPD) und Vogel (FDP) für eine friedliche Lösung sind, gelingt es der rechten Mehrheit in Bürgerschaft, SPD, FDP und Senat, jeden Ausweg zu blockieren. Dohnanyis öffentliches Fazit: Die Schuld liege bei der Hafenstraße.