VW do Brasil: Erpressung mit windigen Verlustzahlen

■ Durch öffentlichen Druck und Mißachtung der staatlichen Preisvorgaben versucht die Holding Autolatina in Brasilien, die Preispolitik der Regierung zu beeinflussen

Von Gabriela Simon

„Wir haben in diesem Land Preiskontrollen und Gesetze, und dieser Mann mißachtet sie“, empört sich der brasilianische Finanzminister Bresser Pereira. „Dieser Mann“, das ist ein deutscher Firmenchef: Wolfgang Sauer, langjähriger Chef von VW do Brasil und heute Präsident der brasilianischen Automobilholding Autolatina, die aus einem Zusammenschluß der Tochtergesellschaften von VW und Ford in Brasilien in diesem Jahr entstanden ist. Der VW–Konzern hält dabei einen Anteil von 51 Prozent. Wenige Tage zuvor, Anfang November, hatte Autolatina in einer Anzeigenkampagne in den großen brasilianischen Tageszeitungen öffentlich angedroht, sich aus Brasilien zurückzuziehen, wenn dort nicht endlich wieder profitabel produziert werden könne. Autolatina beschäftigt mehr als 51.000 Leute, über Zulieferbetriebe sind rund eine Million Brasilianer von dem Autogiganten abhängig. Die Drohung war ein wohlkalkulierter Bluff - auf Nachfrage wurde von mehreren Stellen in der Unternehmensleitung versichert, daß alle Pläne am Verbleib des Konzerns in Brasilien orientiert sind, und daß keine der beiden Muttergesellschaften ernsthaft daran denke, sich aus Brasilien zurückzuziehen. Ein Bluff, in dem die ungeheure Macht des Konzerns in die Waagschale geworfen wurde, um sich in einem Konflikt mit der Regierung durchzusetzen: Autolatina will Preiserhöhungen zwischen 26 und 29,7 Prozent, während die staatlichen Preisvorgaben für die Automobilindustrie nur 16 Prozent zulassen. Kurz auf die Drohung folgte dann die Machtprobe: Autolatina erhöhte die Preise eigenmächtig und mißachtete damit nicht nur die Preiskontrollen, sondern auch brasilianisches Gesetz. Dieser „flagrante Rechtsbruch“, so Bresser Pereira, sei „bislang einzigartig in der brasilianischen Wirtschaft“. Tatsächlich ist der Kampf gegen die Hyperinflation in Brasilien schon seit geraumer Zeit zu einer Überlebensfrage für die nationale Wirtschaft geworden und ein offener Verstoß gegen die staatlichen Preiskontrollen alles andere als ein Kavaliersdelikt. Autolatina kann sich dabei allerdings auf eine Vereinbarung des Automobilverbandes ANFAVEA mit Finanzminister Funare (Bressers Vorgänger) vom April dieses Jahres berufen, die dem Automobilsektor regelmäßige Preiserhöhungen in Abhängigkeit von der Kostenentwicklung (aufgrund einer festgelegten Formel) erlaubt. Bresser Pereira hatte im Juni einen generellen Lohn– und Preisstopp verfügt und war im September wieder zur Politik der kontrollierten Preiserhöhungen zurückgekehrt, aber offenbar ohne sich an die Absprachen seines Vorgängers gebunden zu fühlen. 500 Mio. DM Verluste müßte der Konzern nach eigenen Angaben in diesem Jahr einstecken, wenn er sich an die Preisvorgaben der Regierung hielte. Mit den Gewinnen und Verlusten der Tochtergesellschaften von multinationalen Unternehmen ist das allerdings so eine Sache: Sie ergeben sich unter anderem aus den Preisen, die die Muttergesellschaft der Tochtergesellschaft für die Lieferung von Vorprodukten berechnet. Die PKWs beispielsweise, die Autolatina in die USA exportiert, bestehen zu 40 Prozent aus europäischen Komponenten, die vom VW–Konzern geliefert und ver rechnet werden. Die 500 Millionen DM Verluste von Autolatina, falls sie in diesem Jahr tatsächlich entstehen, sind also in erster Linie eine unternehmenspolitische Größe, die nicht unbedingt die Produktionsbedingungen in Brasilien widerspiegeln muß. Diese sind nämlich im Automobilsektor gar nicht so schlecht. Trotz des allgemeinen Wehklagens über die Preiskontrollen, mit dem die Unternehmer der brasilianischen Regierung schon im letzten Jahr ständig in den Ohren lagen, konnte der Automobilsektor 1986 eine durchschnittliche Profitrate von zehn Prozent einstecken. Und VW müßte aufgrund seines technologischen Vorsprungs eigentlich noch um einiges darüber liegen. Interessanterweise hat VW do Brasil 1986 aber einen Verlust von 132 Millionen Dollar „erlitten“ - was ein bezeichnendes Licht auf die Herkunft der für dieses Jahr angekündigten Verluste wirft. Auch Kenner der Situation halten es für ziemlich ausgeschlossen, daß ein Unternehmen wie Autolatina tatsächlich in die roten Zahlen gerutscht sein könnte. Sicher ist, daß die Gewinne in der Automobilbranche nicht mehr so hoch sind wie im letzten Jahr. Die schwere wirtschaftliche Krise hat auch hier zu starken Absatzeinbußen geführt. Vor diesem Hintergrund entpuppen sich die angekündigten 500 Millionen „Verluste“ als unternehmenspolitisches Druckmittel zur Durchsetzung stärkerer Preiserhöhungen, mit denen die Umsatzeinbußen ausgeglichen werden sollen. Nicht um Verluste geht es also, sondern um geschrumpfte Profitraten, die von den Konzernzentralen als zu gering befunden werden. Hinter die dreiste Aktion der eigenmächtigen Preiserhöhungen durch Autolatina mochte sich noch nicht einmal der brasilianische Verband der Automobilproduzenten ANFAVEA stellen, obwohl er ja gleichermaßen von den Preisvorgaben betroffen ist. Die brasilianischen Unternehmen wissen sehr gut, daß sie damit die Antiinflationspolitik Bresser Pereiras (mit der sie - bei allen Einschränkungen - trotz der wirtschaftlichen Krise noch ganz gut leben können) ernsthaft gefährden würden. Solche Skrupel fechten den Giganten Autolatina offenbar nicht an. War schon in den vergangenen Jahren VW do Brasil zu einer „Institution“ im Land geworden, die immer wieder Privilegien und Ausnahmegenehmigungen durchsetzen konnte, so gilt das jetzt erst recht für Autolatina. Autolatina ist nicht nur der größte brasilianische Exporteur, der Konzern hält auch in Brasilien einen Marktanteil von 54 Prozent. Wenn Bresser Pereira jetzt mit der Öffnung des brasilianischen Automobilmarktes für ausländische Konkurrenz droht und darauf verweist, daß ein Unternehmen mit einem so hohen Marktanteil in den USA aufgrund des Anti– Trust–Gesetzes gar nicht zulässig sei, dann dokumentiert er damit nur das Dilemma, in dem die brasilianische Regierung steckt. Im Rechtsstreit mit Autolatina mußte sie jetzt erst einmal eine Niederlage einstecken: Das Gericht hat den Antrag des Konzerns auf einstweilige Verfügung gegen die Strafsanktionen der Regierung wegen des Verstoßes gegen die Preiskontrollen stattgegeben. Nur wird das Finanzministerium Einspruch einlegen. Die brasilianische Öffentlichkeit wird sich auch in den kommenden Wochen mit den Interessen eines Wolfgang Sauer befassen müssen.