Treue ist kein Schutz vor AIDS

■ Frauen diskutierten am Wochenende in Bonn über das Ausmaß ihrer Gefährdung

Auch Frauen sind durch AIDS - anders als Forschung und Medien es bisher glauben machen wollten - in erheblichem Maße gefährdet. Und zwar nicht nur die sogenannten Randgruppen wie Fixerinnen und Prostituierte, sondern gerade auch die Frauen, die sich aufgrund ihres eigenen Verhaltens bislang in Sicherheit wähnten: die treuen Ehefrauen und Partnerinnen in langjährigen heterosexuellen Beziehungen. Das waren die Themen auf dem eintägigen Kongreß „Frauen und AIDS“ am Samstag in Bonn.

Initiiert hatten diesen - in seiner Themenstellung in der BRD bisher einmaligen - Kongreß die Journalistin Sybille Plogstedt und die Fraueninitiative 6.Oktober; finanziell unterstützt wurden sie durch das Land NRW und die Frauenzeitschrift Brigitte. Referentinnen waren Expertinnen aus dem In– und Ausland, darunter die Ärztin und Buchautorin von „AIDS killt Frauen“, Chris Norwood aus den USA. Die Verunsicherung ebenso wie das Bedürfnis nach genaueren Informationen, in welchem Ausmaß Frauen durch AIDS bedroht sind und nach Diskussionen darüber, wie sie sich schützen können, wie mit der Bedrohung umzugehen ist, ist groß. Das zeigte die hohe Teilnehmerinnenzahl von über 600 Frauen aus der gesamten BRD, darunter viele Mitarbeiterinnen in Krankenhäusern und AIDS–Beratungsstellen. Die AIDS–Gefahr sei „nur mit dem Bäumesterben“ vergleichbar, und alles weise darauf hin, „daß wir es mit dem Menschensterben ähnlich halten wie mit dem Bäumesterben“, machte Sybille Plogstedt in ihrem Eingangsreferat die Dimension der Bedrohung eindringlich klar. Auch wenn in Forschung und Aufklärungskampagnen Frauen nur als sogenannte Risikogruppen, als Fixerinnen und Prostituierte auftauchen; auch wenn die relativ niedrige Zahl von bisher 86 bekannten AIDS–kranken Frauen und sieben Mädchen sowie 38 weiblichen AIDS–Toten in der BRD die Frauen in relativer Sicherheit wähnen lassen, sind sie in gleichem Maße betroffen wie Männer. Das zeigte Sibylle Plogstedt anhand der Entwicklung in den USA (s. nebenstehender Artikel) und erst recht an der Entwicklung im „AIDS–Gürtel Afrikas“ auf, wo sich die Zahl AIDS–infizierter Frauen der der Männer im einem Verhältnis von 1:1,2 angenähert hat. AIDS ist nicht nur ein Problem von promiskuitiv lebenden Frauen. Das wurde von den meisten Referentinnen immer wieder hervorgehoben. 90 Prozent aller Frauen in festen Beziehungen, berichtete Chris Norwood, sind von ihrem (Ehe–)Partner infiziert worden. Ensprechend kann Untreue auch in langjährigen Ehen nicht mehr verschwiegen werden, so Sybille Plogstedt. Entgegen der Ansicht konservativer Politiker, die nun die Treue als einzige Lösung propagieren, behauptet sie: „AIDS fördert nicht die Treue, sondern sprengt die Beziehungen.“ Durch die Konzentration des AIDS–Virus im männlichen Samen sind Frauen leichter zu infizieren als Männer durch Frauen. Die Vagina–Schleimhäute bilden einen idealen Nährboden für AIDS–infizierte Samenflüssigkeit. Die Sekrete der Vagina setzen sich nicht in den männlichen Genitalien fest. Keine (Ehe–)Frau kommt um die Frage herum: „Wo sind die Männer, wenn nicht zu Hause?“ So meinte denn auch Melitta Walter, die Herausgeberin des ersten Buches über Frauen und AIDS in der BRD: „Ach wärs doch nur ein böser Traum.“ Ihrer Meinung nach sind Frauen aufgrund der Bedrohung durch AIDS auch nicht länger einzuteilen in „die braven Ehefrauen und die schlampigen Singles“, wie Konservative es gerne möchten. Angesichts von AIDS müßten sich alle gleichermaßen über Sexualität und Beziehungen, über die Frage der Prävention Gedanken machen und verantwortlich fühlen. Dabei war klar, daß es keine andere effektive Möglichkeit der Prävention als die Benutzung von Kondomen gibt. Denn, so Melitta Walter, der Ruf nach Treue gehe an der Lebensrealität völlig vorbei. Sie, wie auch andere Referentinnen, stellte als schwerwiegendes Problem dar, daß Männer sich wesentlich weniger für die Prävention gegenüber der Krankheit verantwortlich fühlten als Frauen. Widersinnig genug, denn schließlich können nur sie die Kondome anwenden. Als eines der zentralen Probleme bei der Auseinandersetzung über AIDS wurde von der Mehrzahl der Referentinnen dargestellt, daß den Frauen eine entscheidende Verantwortung bei der Bekämpfung der AIDS–Gefahr zugeschoben, und damit der Versuch unternommen werde, Männer zu entlasten. Extremstes Beispiel: der Umgang mit Prostituierten, die, wie die Vertreterin von „Hydra“, einem Berliner Prostituierten–Projekt, Helga Bilitewski, meint, völlig zu Unrecht zur besonderen Risiko–Gruppe bei der Verbreitung von AIDS gezählt werden. Tatsächlich seien allein die drogenabhängigen Frauen unter den Prostituierten in besonders hohem Maße von AIDS infiziert, während die Mehrzahl der Prostituierten dagegen durch ihre offene Propagierung von Präservativen bei Geschlechtsverkehr eher zur Prävention und Bewußtseinsbildung über die Gefährung beitrügen. AIDS wird als Vehikel benutzt, nicht nur, um die sexuelle Eigenständigkeit von Frauen zurückzudrängen, sondern auch für konservative Gesundheitspolitik. Das machte die Psychologin Angela Franke an den Parolen von Gesundheitspolitikerinnen deutlich, wie „AIDS kriegt man nicht, AIDS holt man sich“. Nicht nur, daß es die Frauen sind, die in besonderem Maße für Gesundheit und Krankheit verantwortlich gemacht werden; ignoriert werden dabei auch alle sozialen Faktoren, die bei der Verbreitung der Krankheit eine Rolle spielen. Ausgeklammert wurden auf dieser Tagung allerdings zwei Punkte: einerseits die Frage, in welchem Maße AIDS–Infizierte auch von der Krankheit tatsächlich erfaßt werden - weil es, so die Hinweise einzelner Diskutantinnen, darüber keine eindeutigen Untersuchungsergebnisse gebe; und die Frage, inwieweit Lesben von AIDS betroffen sind. Bisher, so Sybille Plogstedt, seien lediglich zwei Fälle aus New York bekannt, der einer Fixerin und einer Lesbe, die durch Sado–Maso– Praktiken infiziert wurden. Sie wies jedoch auch darauf hin, daß die Kampagne der Zeitschrift Emma, lesbische Liebe sei eine Alternative zur Verhinderung von AIDS, möglicherweise trügerisch sei: Denn wenn Lesben von AIDS erfaßt sind, gibt es für sie keine Möglichkeit der Prävention. Gitti Hentschel