Özal als Gewinner nach dem Putsch

■ Bei den am Sonntag in der Türkei stattfindenden Wahlen wird sich Özal endgültig etablieren

Erstmals seit dem Putsch 1980 wird am kommenden Sonntag in der Türkei wieder frei gewählt. Doch alle Umfragen sprechen dafür, daß die sieben Jahre Militärdiktatur ausgereicht haben, um Özal und seiner regierenden Mutterlandspartei den notwendigen Vorsprung vor seiner Konkurrenz zu sichern.

Istanbul (taz) - „Zitrone!“, schreit es von unten aus der Menge. „Nein, nein“, sagt das Männchen auf dem Dach des Busses ins Mikrofon, „das mit der Zitrone weiß mittlerweile jeder, heute rede ich mal über etwas an deres. Wir werden die Jugend schützen und sich entwickeln lassen. Wir werden die Militärdienstzeit verkürzen, das Wahlalter auf 18 senken und das repressive Hochschulgesetz abschaffen. Die SHP wird die Jugendlichen ihre Jugend erleben lassen!“ Beifall aus der Menge. Vor einem Jahr noch war der Chef der sozialdemokratischen Partei SHP, der lächelnde schüchterne Professor Erdal Inönü - als „E.T.“ verspottet - ganz nett, aber harmlos. Heute bedroht er den fast sicheren Wahlsieg der regierenden Mutterlandspartei ANAP. 40.000 sind nach Gaziosmanpascha gekommen, einem Arbeitervorort außerhalb Istanbuls, um Inönü zu hören. „Die Türkei springt ins neue Zeitalter“, ist dagegen der Wahlkampfslogan des rechten Ministerpräsidenten Turgut Özal. In den vier Jahren seiner Regierung sei der Export auf neun Milliarden Dollar gestiegen, der Tourismus habe enorm zugenommen, zu allen Dörfern führen mittlerweile eine Straße. Jawohl, höhnt dagegen die SHP, die Inflation lag in den vergangenen vier Jahren nicht ein einziges Mal unter 50 Prozent, da sind wir vielen anderen Ländern weit voraus. Während Özal sich auf Wahlplakaten und bei Fernsehansprachen gern hinter dem Schreibtisch sitzend zeigt und - die Ruhe selbst - die Bürger an die Zeiten vor dem Militärputsch erinnert, während derer jeden Tag mehrere Personen aus politischen Gründen erschossen wurden, ist die SHP ganz Bewegung: selbstbewußte Arbeiter und lebenslustige Hausfrauen lächeln den Wähler an: Die SHP trägt das Lächeln in die Küchen. Ein echter Renner war jedoch das Zitronenargument. Seit Inönü die Wähler gefragt hat: „Wollt ihr euch weitere fünf Jahre wie eine Zitrone auspressen lassen?“, werden auf SHP–Wählerveranstaltungen Zitronen dutzendweise ausgepreßt, in den Medien wurde die Zitrusfrucht zum Renner der Woche. Das Bild ist gar nicht so falsch. Während der Özalregierung hat sich die Zahl der Arbeitslosen vervierfacht, die Prostitution verfünfzigfacht. Betroffen sind vor allem die Arbeiter: Vom gesetzlich garantierten Mindestlohn von umgerechnet etwa 150 DM können sie noch nicht einmal die Miete bezahlen. Ministerpräsident Özal, vom Erfolg des Zitronenarguments überrascht, wies in ganzseitigen Zeitungsanzeigen darauf hin, daß es eine Beleidigung für das türkische Volk sei, mit einer Zitrone verglichen zu werden. Daraufhin veröffentlichte die seriöse Tageszeitung Cumhuriyet lange Abhandlungen über den symbolischen und materiellen Gehalt der Zitrone und ihre Bedeutung für die türkische Küche. Es ist Endspurt im Wahlkampf. In engen Gassen hängen Fähnchen und Wimpel der Parteien bunt durcheinander, mit Plakaten beklebte Autobusse fahren hupend durch die Stadt, aus den Wahlkampfbüros der Parteien dringt scheppernd Musik - die kriegerischen Trommeln der „Nationalistischen Arbeitspartei“ des Faschisten Türkes sind am lautesten. Während die Parteiführer durch das Land jetten, finden in den Städten allabendlich Wahlkampfveranstaltungen statt. „Wenn die Wohlstandspartei mit Gottes Hilfe an die Regierung kommt“, der Kandidat Tayyip Erdogan erhebt bedeutungsvoll die Stimme, „dann werden wir die Prostitution mit den Wurzeln ausreißen. Die Prostitution ist eins der fünf Dinge, mit denen die Juden, der Westen und Amerika die Türkei zerstören wollen. Die anderen vier sind: Luxus, Zinsen, Alkohol und Würfelspiel. Gibt es diese fünf Dinge hier bei uns?“ - „Jawohl“, schreien dreißig Stimmen. Das Kaffeehaus war zu klein für die Zuhörerschaft. Also ist der Kandidat der Fundamentalistisch– islamischen Wohlstandspartei vor die Tür getreten. Es ist ein armes Viertel, in dem er da spricht. Die Luft stinkt nach Kohle und läßt die Augen tränen. Junge Männer in abgerissenene Trainingsanzügen haben sich hier eingefunden, ein paar Alte mit dem langen Bart der Religiösen. Die Frauen sind zu Hause geblieben. „Die anderen Parteien wollen Fünf–Sterne–Hotels bauen und nackte Touristen herbringen!“ schreit Tayyip Erdogan. „Wird mein armer Bruder Mehmed in diesen Hotels wohnen?“ - „Nein“, brüllen die Zuhörer. „Wo ist denn die soziale Gerechtigkeit?“, fragt ein alter Mann, „wenn die ANAP und die SHP ständig im Fernsehen erscheinen und wir nicht?“ - „Sie lassen uns nicht“, antwortet Tayyip Erdogan, „denn sie wissen genau, daß alle Wähler uns ihre Stimme geben, wenn sie uns erst einmal kennenlernen.“ An der Richtigkeit dieser Antwort sind allerdings Zweifel angebracht. Sieben Parteien stellen sich zur Wahl: neben der ANAP, der SHP und der islamischen Wohlstandspartei gibt es die „Partei des Rechten Weges“ des Altpolitikers Süleyman Demirel, die rechtssozialdemokratische Partei DSP von Bülent Ecevit, die nationalistische Arbeiterpartei MCP des Faschisten Alparslan Türkes und einen islamischen Ableger namens Reformpartei. Aufgrund einer nationalen Sperrklausel von zehn Prozent und einer zusätzlichen Wahlkreisklausel, deren Höhe von den zu verteilenden Mandaten abhängt, werden vermutlich nur drei Parteien ins Parlament einziehen: ANAP, SHP und die Partei des Rechten Weges als Hommage der Bauern an den populären Landesvater Demirel. „Ich werde meine Stimme der ANAP geben, wie alle hier im Viertel“, sagt der Parfümerist Onur. „Als Demirel und Ecevit an der Regierung waren, hat der Schwarzmarkt geblüht. Mal gabs in den Läden kein Olivenöl, mal keine Seife, auch ausländische Zigaretten mußte man sich mühsam organisieren. Jetzt kann man hier alles kaufen - wenn man Geld hat. Und daß die Demokratie sich unter der Regierung Özal nicht so recht entwickelt hat - das finde ich nicht so schlimm. Die Türkei ist für eine Demokratie, wie ihr sie habt, nicht bereit. Am besten läuft hier die Diktatur. Schau dir das osmanische Herrscherhaus an. Jahrhunderte hat es überdauert. Und unsere republikanischen Regierungen?“ Antje Bauer