Abrüstung für eine offensive Aufrüstung

■ Nach Gorbatschows Eingeständnis im US–Fernsehen, daß die Sowjetunion an einem SDI–ähnlichen Projekt arbeitet, erhielt Reagan Schützenhilfe für SDI vom Finanzausschuß des Senats / Reagan distanziert sich von Hardlinern in den eigenen Reihen

Von Michael Fischer

Während Washingtons Polit– Schickeria dem neuen US–Star „Michail“ entgegenbangt und im Gipfeltaumel um Sitzordnungen feilscht, sind Reagan sogar seine ehemaligen Gesinnungsgenossen nicht mehr fein genug. Als „Ignoranten“ bezichtigte er die Gegner des INF–Abkommens, die ihm sein Ziel, als Friedenspräsident in die Geschichte einzugehen, vermiesen wollen. In einem von den vier großen US–Fernsehsendern übertragenen Interview ging der verblaßte Star mit seinen ehemaligen Freunden und Unterstützern am rechten Rand der republikanischen Partei am Donnertag hart ins Gericht. „Tief in ihrem Herzen“ glaubten sie offensichtlich, daß ein Krieg zwischen den Supermächten unausweichlich sei. Allerdings hält auch Reagan die Sowjetunion trotz der Kompromißbereitschaft Gorbatschows nach wie vor für das „Reich des Bösen“. Deshalb werde es bei SDI auch keine Kompromisse geben. Schützenhilfe erhielt Reagan für seine unbeugsame Haltung in Sachen SDI vom Finanzausschuß des Senats. Überraschend verabschiedete die Kommission einstimmig eine Resolution, die das „Krieg der Sterne“–Projekt unterstützt, um den USA die Möglichkeit zu geben, sich gegen einen möglichen sowjetischen Verstoß gegen den ABM–Vertrag zu verteidigen. Die Entscheidung in dem einflußreichen Senatsausschuß folgte auf die Bemerkung Gorbatschows am Montag im amerikanischen Fernsehen, daß sich auch die Sowjetunion mit „Grundlagenforschung“ beschäftigt, „die die Seiten betreffen, die in Amerika von der SDI–Forschung erfaßt sind“. Das öffentliche Eingeständnis freute die SDI–Fans im Pentagon ungemein, stiegen damit doch die Chancen für das Milliardengeschäft mit dem „Krieg der Sterne“, das von dem plötzlichen Spardrang des US–Kongresses ergriffen worden war. Schon vor der Bestätigung durch Gorbatschow war bekannt, daß in der Sowjetunion an SDI gearbeitet wird. Daß der Kreml– Chef jedoch vor amerikanischem Publikum von den sowjetischen SDI–Plänen plaudert, eine Woche vor dem Gipfeltreffen in Washington, hat einen taktischen Grund. Das INF–Abkommen dient auch ihm nur als Vehikel, um die bereits vor einem Jahr in Reykjavik beschlossene 50prozentige Reduzierung der strategischen Atomraketen (START) so weit wie möglich dingfest zu machen. Dazu ist er neuerdings sogar bereit, Reagans SDI–Pläne weitgehend zu akzeptieren. Doch das besondere sowjetische Interesse an dem START–Vorschlag ist unverständlich. Statt an einer Reduzierung müßten die sowjetischen Strategen an einer Aufstockung ihrer mehr als 3.000 Interkontinentalraketen SS–18 interessiert sein, weil ein amerikanisches SDI nur durch eine möglichst hohe Anzahl von gleichzeitig angreifenden Raketen zu überwinden wäre. Gorbatschows Eingeständnis könnte einen Hinweis auf das Kalkül der Supermächte geben. Bei den Seiten gemeinsam ist das Interesse, die Anzahl der Langstreckenraketen zu verringern, entweder weil beide in absehbarer Zeit ein halbwegs funktionstüchtiges SDI installieren können, oder sie sind dabei, die strategischen Waffen ebenso wie die Mittelstreckenraketen durch neue und wirksamere Offensivwaffen zu ersetzen. Bereits in den siebziger Jahren sollen - so der norwegische Friedensforscher Johan Galtung - die Sowjets den Amerikanern in der Laser–Forschung voraus gewesen sein. In den achtziger Jahren überholte die sozialistische Raumfahrer–Nation ihre kapitalistische Konkurrenz auch auf dem Gebiet der Weltraumtechnik. Um diesen Vorsprung auszubauen und Zeit für die Entwicklung eines eigenen - angeblich viel preiswerteren - SDI–ähnlichen Projekts zu gewinnen, hielten sich die sowjetischen Strategen bislang hinsichtlich ihres eigenen „Krieg der Sterne“– Programms bedeckt. Gleichzeitig versuchten sie, den Aufbau des amerikanischen SDI durch diverse diplomatische Initiativen zu behindern. Auch wenn ein grundsätzliches Einverständnis zwischen Reagan und Gorbatschow über eine Reduzierung der Langstreckenraketen um 50 stehen noch einige Probleme im Wege. Ungewiß ist zum Beispiel, ob und wann der Senat das INF– Abkommen ratifizieren wird - für Gorbatschow eine wichtige Bedingung für weitergehende Verhandlungen. Immerhin gab der Senatspräsident Byrd am gestern bekannt, daß die Senatoren am 19.1.88 mit den Beratungen über das Abkommen beginnen.