VS–Glasnost

■ Der Berliner Verfassungsschutz mußte erneut einen Skandal um Abhörpraktiken zugeben

Je höher der Affe steigt, um so besser sieht man seinen Steiß. Die Herren des clandestinen Nachrichten–Gewerbes haben es in Berlin zu bunt getrieben. Nachdem der Innensenator in der vergangenen Woche noch eilig dementieren ließ, daß die Alternative Liste nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln, sprich mit Abhöraktionen, einzelnen und massenhaften Observationen, ausgespäht werde, kam gestern dann doch die offizielle Bestätigung. Die AL wird systematisch ausgespäht, und das schon seit Jahren. Doch damit nicht genug: Die SPD, wahrscheinlich auch der DGB und die taz, gehören zu den Untersuchungsobjekten des Verfassungsschutzes. Zahlreiche Affären in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben dem Verfassungsschutz zurecht den Ruf einer illegal tätigen Schnüfflerbande eingebracht. Deswegen sind die jüngsten Eingeständnisse auch nicht mehr als eine Bekräftigung für das, was man ohnehin weiß. Der Dienst macht, was er will und vor allem das, was seinem jeweiligen Dienstherrn am besten in den Kram paßt. Auswertungsergebnisse lassen sich dann wahlweise in Springer–Zeitungen oder CDU–Broschüren wiederfinden. Die Selbstbedienungsmentalität feiert fröhliche Urständ. Einen anderen Sinn kann das Unternehmen gar nicht haben. Was macht zum Beispiel die taz zu einem abhörgeschätzten Objekt? Keine Zeitung ist transparenter. Im Vergleich dazu betreibt der Springer Verlag eine byzantinische Offenheit, die die des Kremls noch weit übertrifft. Bis auf wenige Eingeweihte darf in Berlin offenbar niemand mehr wissen, was der VS eigentlich tut. Er ist der (parlamentarischen) Kontrolle offenbar total entglitten. Jetzt müssen alle Karten auf den Tisch: Über die Observierung Lummers genauso wie über die von AL, SPD, DGB und taz. Zu vermuten ist allerdings, daß die Erkentnisse zum Gähnen langweilig sind. Benedict M.Mülder