Halb Berlin wird überwacht

■ Ausspähung der Alternativen Liste Berlins durch den Verfassungsschutz bestätigt / Auch SPD überwacht / Die Szene wird totalerfaßt: Von SEW über Autonome bis hin zum kompletten Alternativprojekt „Mehringhof“ führt der Berliner Verfassungsschutz Dossiers

Aus Berlin Till Meyer

Der Skandal über die Ausspähungspraktiken des Berliner Verfassungsschutzes weitet sich aus. Während der gestrigen Sitzung des Innenausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses bestätigte der Chef der Behörde, Dieter Wagner, daß nicht nur die AL, sondern auch die SPD und selbstverständlich auch die SEW mit „nachrichtendienstlichen Mitteln“ ausgespäht wird. Ebenfalls unter Einsatz „nachrichtendienst licher Mittel“ widmet sich der Verfassungsschutz Treffpunkten und Veranstaltungen der Autonomen sowie dem größten Berliner Alternativzentrum Mehringhof. SPD–Mitglied Pätzold, der für seine Partei in der Parlamentarischen Kontrollkommission der Geheimdienste sitzt, zeigte sich überrascht, als VS–Chef Wagner zugab, daß es auch sieben Dossiers über die SPD gibt, von denen die SPD nichts weiß. Immer dann, so Wagner, wenn es zu Berührungen der SPD mit der Kommunisti schen SEW kommt, wird auch die SPD Zielobjekt des Verfassungsschutzes. Pätzold wollte von Innensenator Kewenig auch wissen, ob seine Informationen zutreffen, wonach auch die taz abgehört wird. Kewenig wollte das weder bestätigen noch dementieren. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel könne nicht öffentlich erörtert werden. Auf Fragen der taz, „wie sicher denn die Informationen über abgehörten Telefone der taz sind, erklärte der Abgeordnete Pätzold: „Es gibt diese Informationen und im weiteren Verlauf der Untersuchung wird das auch noch klar rauskommen“. Pätzold forderte Innensenator Kewenig auch auf, zuzugeben, daß erst in der letzten Woche eine auf die AL– Kreuzberg angesetzte V–Frau des Verfassungsschutzes zurückgezogen wurde. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Aber auch darauf wollte weder der Innensenator noch sein Verfassungsschutz–Chef etwas sagen: „Wir sind heute hier in der Beantwortung der Fragen sehr weit gegangen, aber es gibt Fragen, die werden nicht öffentlich beantwortet“. Die Abteilung 4 im Landesamt für Verfassungsschutz bei der die umfangreichen „Aktenvermerke“ über die Alternative Liste gesammelt werden, ist bezeichnenderweise jene Abteilung, die seinerzeit für die sogenannten K– Gruppen zuständig war. Dem Verfassungsschutz gehe es hauptsächlich darum, die Alternativen vor „Unterwanderung durch Linksextremisten zu schützen“, denn davon gäbe seit der Gründung der Alternativen Partei ja noch immer eine große Zahl innerhalb der Partei. Schließlich wisse man ja nicht, ob sich diese Personen auch glaubhaft vom Saulus zum Paulus entwickelt hätten. Auch auf hartnäckiges Fragen des AL–Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Wieland, wie hoch denn die Zahl derjenigen in der AL sei, die dem Verfassungsschutz Anlaß zur Observation gäben, gab der VS– Chef keine Antwort. „Wenn ich sage 3o3 ,dann ziehen sie wieder ihre Schlüsse daraus.“ Die Alternativen werden nach wie vor als Einfallstor der Linksextremisten gesehen, die so in die Parlamente gelangen wollen, erklärte der Verfassungsschutz–Chef. Und weil das so ist, ist auch eine Observation dieser Leute völlig legitim und gehört zum Auftrag des Verfassungsschutzes. Die Frage des SPD–Abgeordneten Erich Pätzold, ob es zutreffe, daß nach dem Bericht der taz über die Verfassungsschutzpraktiken das „Amt“ einem Bienenschwarm glich und in hektischer Betriebsamkeit Akten über Bespitzelung der AL und der Grünen vernichtet worden seien, beantwortet VS–Chef Wagner. „Davon sei ihm nicht bekannt“. Im Anschluß an die Sitzung bekräftigte die AL ihre Forderung nach einem parlamentari schen Untersuchungsausschuß zur Aufklärung des gesamten Verfassungsschutzskandals.