Ein Kohl für alle Fälle

Unser Kanzler orientiert sich neuerdings in seinen Fernsehauftritten eher an östlichen als an westlichen Politiker–Gepflogenheiten. Seine Worte an die Fernsehzuschauer werden nicht mehr als „Kanzler–Verlautbarung“ nach den Nachrichten gesendet, sie sind die Nachrichten. So geschehen jedenfalls bei seiner von ARD und ZDF verbreiteten Stellungnahme zum INF– Vertragsabschluß. Die Arbeitsgemeinschaft der Redakteursausschüsse von ARD und ZDF (Agra) beschwerte sich am Mittwoch, Kohl habe gegen den Widerstand der TV–Chefredakteure durchgesetzt, daß seine Ansprache am Dienstag abend mit den Worten „zum Vertragsabschluß jetzt eine Erklärung von Bundeskanzler Kohl...“ direkt in die Tagesschau integriert wurde. Das sei „ein schwerer Sündenfall, der der journalistischen Unabhängigkeit zuwiderlaufe“, meinte die Arbeitsgemeinschaft. Was aber noch viel schlimmer ist: In der ARD–Sendung war es wieder nicht der echte Kohl! Am Nachmittag hatte man für die umstrittene Sendung eine Probeaufnahme mit dem unrasierten und ungeschminkten Kohl im Kanzleramt gemacht, „für alle Fälle“, wie Regierungssprecher Ost erläuterte. Als dann kurz nach acht der Zeitpunkt der Kanzlereinblendung kam, hatte das ZDF ihn noch nicht in Positur gerückt. Die ARD–Kollegen konnten nicht warten und sendeten kurzerhand die Probeaufzeichnung. sch FORTSETZUNGEN VON SEITE 1