Kruppianer pochen auf „Frankfurter Vereinbarung“

■ Ohne Staatshilfen ist der weitgehende Kompromiß zwischen der IG Metall und der Stahlindustrie wertlos / Stahlbranche weltweit in der Umstrukturierung

Von Hans Henning Krämer

Blockadeaktionen im ganzen Ruhrpott, scharfe Proteste der Stahlarbeiter vor der traditionsreichen Krupp–“Villa–Hügel“ - das Revier ist in Unruhe über die geplante Vernichtuung des Stahlstandorts Rheinhausen. Während es einerseits darum geht, die Stahlkonzerne auf einmal getroffene Vereinbarungen festzunageln, ist das ganze vor dem Hintergrund der weltweiten Umschichtungen in der Stahlbranche zu sehen. Während die traditionellen Stahlanbieter in Japan, den USA und der EG weiterhin an Weltmarktanteilen verlieren, sollen in den sogennannten Schwellenländern auch in Zukunft die Kapazitäten und das Produktionsvolumen deutlich ausgedehnt werden. China, schon heute viertgrößtes Stahlherstellerland der Welt, plant beispielsweise, seine Produktiuon von derzeit 52 Millionen Tonnen auf 80 Millionen Tonnen im Jahre 1995 auszudehnen. Brasilien will seine Kapazitäten in den nächsten Jahren um 70 Prozent auf 40 Millionen Tonnen erhöhen. Auf der anderen Seite wachsen in den traditionellen Stahlanbieternationen die damit verbundenen Anpassungsprobleme. Selbst in Japan, das die bisherigen Krisenprozesse unbeschadet überstehen konnte, geht das „Miti“, die staatliche Planungsbehörde, davon aus, daß in den kommenden Jahren 40.000 Beschäftigte der Stahlindustrie ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Auch in der EG scheinen die Weichen in Richtung auf die weitere Kapital– und Arbeitplatzvernichtung gestellt zu sein, nachdem Anfang nächsten Jahres die Quotenregelung für Stabstahl und Walzdraht auslaufen wird und auch für die restlichen Produkt gruppen (Bleche, Warmbreitband) in absehbarer Zukunft die Krisenmaßnahmen der EG zurückgenommen werden sollen. Wenn dann im Zeichen von Deregulierungs– und Liberalisierungsbestrebungen die freien Marktkräfte ihre volle Wirksamkeit enfalten sollen, ist statt eines krisenfreisen Stahlmarktes ein immenser Preisverfall zu erwarten. Dieser betrug nach der Aufhebung von Mindestpreisregelungen der EG im Jahre 1986 bei einzelnen Produktgruppen bereits über 30 Prozent und wird von den Stahlunternehmen zur Ausnutzung ihrer Kapazitäten noch weiter forciert werden. Allenfalls solche Konzerne, die unternehmensintern Gelder in einen unprofitablen Stahlbereich hineinpumpen können oder solche, die, in welcher Form auch immer, an staatliche Subventionsgelder gelangen können, werden diese Stufe des Konkurrenzkampfes überleben können. Die veränderten Weltmarktbedingungen einerseits und die politischen Rahmenbedingungen auf der EG–Ebene andererseits verstärken die Krisenprozesse in den altindustriellen Regionen. Aus arbeitsmarktpolitischen Überlegungen wäre kein weiterer Beschäftigungsabbau zu verantworten. Vor diesem Hintergrund hat die IG Metall ihre Konzeptionen für die betroffenen Regionen erheblich ausgeweitet. Im Mittelpunkt steht fortan nicht mehr nur die sozialpolitische Abfederung der Entlassungen, sondern die Sicherung der Arbeitsplätze in den jeweiligen Regionen. Die IG Metall ist nur dann bereit, einen weiteren Beschäftigungsabbau in der Eisen– und Stahlindustrie politisch mitzutragen, wenn in den Regionen eine entsprechend hohe Zahl von Ersatzarbeitsplätzen bereitgestellt werden. Insbesondere die Stahlunternehmen sollen nach den Vorstellungen der IG Metall nicht länger aus ihrer sozialpolitischen Verantwortung entlassen werden. Kernstück des in diesem Zusammenhang Anfang des Jahres formulierten Konzepts „Beschäftigungsgesellschaft/Ersatzarbeitsplätze in der Stahlindsutrie und in den Stahlregionen“ bildet die Forderung nach konzerninternen Bschäftigungsgesellschaften. Diesen kommen insbesondere Aufgaben der sozialen Besitzstandswahrung, der Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen und der Qualifizierung und Umschulung der Stahlbelegschaften zu. Diese unternehmensinternen Maßnahmen sollen durch ein öffentliches, von Bund und Ländern finanziertes Zukunftsinvestitionsprogramm ergänzt werden. Zunächst konnte sich die IG Metall mit ihren Forderungen nach finanzieller Beteiligung der Stahlunternehmen bei der Ersatzarbeitsplatzbeschaffung, der Sicherung der Stahlstandorte und der Ausweitung betrieblicher und gewerkschaftlicher Interessenvertretung gegenüber der Bundessrepublik nicht durchsetzen. Im Juni dann einigten sich IG Metall und die Wirtschaftsvereinigung Eisen und Stahl auf einen Fünf–Punkte–Katalog. Danach verzichten die Stahlunternehmen auf betriebliche Kündigungen und erklären sich bereit, sich an „Aktionsprogrammen“ finanziell zu beteiligen. Die öffentliche Hand wurde aufgefodert, nicht rückzahlbare öffentliche Beihilfen zu gewähren. Vor allem den Gewerkschaften gelang es in dieser Frankfurter Vereinbarung, wichtige Elemente ihres Konzepts der Beschäftigungsgesellschaft (Ausschluß von Massenentlassungen, Ersatzarbeitsplätze) durchzusetzen, doch kam die Einigung nicht zuletzt deshalb zustande, weil sich IG Metall und die Wirtschaftsvereinigung mit der Forderung nach hohen finanziellen Beteiligungen des Bundes zu Lasten eines Dritten, in diesem Fall der Bundesregierung, einigen konnten. Hatte diese Frankfurter Vereinbarung zunächst völlig unverbindlichen Charakter, so wurden in einer Betriebsvereinbarung Mitte September des Jahres zwischen dem Gesamtbetriebsrat und der Unternehmensführung der Krupp–Stahl AG konkrete Schritte benannt. Erstens wurde die Bildung von paritätisch besetzten Arbeitsgruppen festgelegt, deren Aufgabe es ein soll, neue Produktionslinien zu entwickeln. Zweitens verpflichtete sich das Krupp– Management in Abstimmung mit anderen Unternehmen und der öffentlichen Hand, Ersatzarbeitsplätze bereit zu stellen. Drittens waren Umschulungs– und Weiterbildungsmaßnahmen dergestalt vorgesehen, daß den Beschäftigten nach einer 24monatigen Qualifizierungsmaßnahme ein Wiedereinstellungsanspruch eingeräumt wurde. Darüberhinaus sollten die Betroffenen die Differenz zwischend den Leistungen des Arbeitsentgelts bzw. der Qualifizierungsunterstützungen und 90 Prozent des letzten Nettolohnes erstattet werden. Insgesamt gingen die wesentlichen Punkte der Betriebsvereinbarung weit über das hinaus, was bisher im Gestaltungsbereich gewerkschaftlicher Interessenvertretung lag. Erstmalig sollte auch konkret auf die Entscheidungsmacht des Unternehmens Einfluß genommen werden. Von manchen Gewerkschaftern wurde die Vereinbarung gar als erster Schritt in Richtung Vergesellschaftung der Eisen– und Stahlindustrie angesehen. Allerdings wurde auch dem Krupp–Management die politische Brisanz der Vereinbarung durchaus bewußt. Deshalb wird gegenwärtig versucht, mittels der Diskussion um die Schließung von Krupp–Rheinhausen die betrieblichen und gewerkschaftlichen Errungenschaften wieder rückgängig zu machen. Von der Unternehmensspitze ist lediglich geplant, interne Umsetzungsmaßnahmen bzw. Umsetzungen vorzunehmen. Dagegen steht die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen in der Region nicht mehr zur Diskussion. Letztlich geht es also im Falle Rheinhausen nicht nur darum, die Schließung des Werkes zu verhindern, sondern ein gewinnträchtiges Unternehmen wie Krupp darauf zu verpflichten, die gesellschaftlichen Folgelasten ihres Handelns zu minimieren - zumindest so, wie es in einer Vereinbarung mit dem Konzern einmal ausgehandelt worden war.