I N T E R V I E W „Cordes wird sehr bald freikommen“

■ Nabih Berri, Chef der Schiitenbewegung Amal, über die Zusammenarbeit mit den Palästinensern und die Zukunft des Libanons / Ein Interview von Petra Groll

taz: Herr Berri, Sie sind Minister für Justiz und den Südlibanon sowie Chef der Schiitenbewegung und Miliz Amal. Welcher Posten ist Ihnen am wichtigsten? Nabih Berri: Milizchef war ich nicht immer. Die Geschichte der vergangenen zehn Jahre hat die Bewegung in eine Miliz verwandelt. Der Krieg 75/76, die israelischen Invasionen und alles was danach passierte hat uns gezwungen, Parteien und sozialpolitische Bewegungen vorrangig zu Organisationen der Selbstverteidigung zu machen. So habe ich auch den Posten übernommen, den Südlibanon gegen die israelische Invasion und Besatzung zu verteidigen. Schließlich gab es den Versuch, der libanesischen Krise mit einer „Regierung der Nationalen Einheit“ beizukommen. Unglücklicherweise ist bei letzterem nichts herausgekommen. Sobald sich eine Lösung andeutet, werde ich den Ministerposten aufgeben. Amal hat sich in diesem Jahr mit anderen Parteien der Opposition zur „Vereinigungs– und Befreiungsfront“ zusammengetan. In welchem Zustand ist die Opposition? Diese Front ist keine ernsthafte Angelegenheit - nicht etwa, weil wir nicht alles versucht hätten. Doch ehe wir nicht zu einer Übereinkunft mit den Palästinensern gekommen sind, können wir - alle beteiligten Parteien - nicht ernsthaft in der Front arbeiten. In den letzten zwei Jahren war Amal ganz besonders mit dem „Lagerkrieg“ beschäftigt. Vor kurzem haben Sie in Algier palästinensische Führungspolitiker getroffen. Die Gespräche wurden als positiv be zeichnet, doch hier im Libanon, an den Fronten, hat sich nichts geändert. Warum? Alle palästinensischen Parteien hatten meinen Vorschlag zur Beendigung des Lagerkrieges vom 30. August akzeptiert, dadran gehalten hat sich niemand. Da bin ich nach Algier gefahren, um den Mechanismus zu beschleunigen. Die Verhandlungen mit dem Chef der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas, Naef Hawatmeh, waren in der Tat positiv. Amal hat sich an alle Verpflichtungen gehalten. Baumaterial, Lebensmittel und Medikamente wurden in die Lager gebracht. Jetzt warten wir darauf, daß unsere palästinensischen Freunde aus den Stellungen östlich von Saida abziehen, wie es vereinbart ist. Die Palästinenser haben gesagt, daß sie keinerlei Interesse daran haben, im Libanon wieder die gleiche Rolle zu spielen wie vor 1982. Bewiesen haben sie das bislang nicht. Aber meine Initiative ist derzeit kaltgestellt. Nicht wegen des Winters, sondern weil nach der palästinensischen Operation in Israel (ein Anschlag gegen einen Posten der israelischen Armee bei Kiriyat Shmoneh am 25.11., pe) Rache erwartet wird. In dieser Situation werde ich keinen Druck auf die Palästinenser ausüben. Erwarten Sie eine großangelegte Operation der Israelis? Wie wird sich Amal in diesem Fall verhalten? Steht eine neuerliche Kooperation mit den Palästinensern an? Wenn die Israelis Amal–Gebiete angreifen, dann wird gekämpft, ob es dort Palästinenser gibt oder nicht. Die entscheidende Frage heißt noch immer: Was machen die Israelis in unserem Land? Alle Schwierigkeiten des Landes haben ihren Ursprung in der israelischen Besatzung des Südlibanon. Wenn Sie unser Territorium erneut angreifen, werden wir es auch mit den Palästinensern zusammen verteidigen. Unsere Truppen sind in höchster Alarmbereitschaft. Im kommenden Jahr soll ein neuer libanesischer Präsident gewählt werden. Wird die Opposition in der Lage sein, den umstrittenen Nationalpakt von 1943 zu ändern, der die Wahl eines christlichen Maroniten zum Staatsoberhaupt festschreibt? Wir sind gegen das jetzige Regime und gegen den Pakt von 1943. Wir werden diese dritte Phase des Kampfes aushalten müssen. Nach der ersten Etappe, dem Krieg mit Maschinengewehren, der zweiten, als wir auf politischer, sogar regierungspolitischer Ebene versuchten, den Konflikt zu entscheiden, müssen wir jetzt durch die Phase des ökonomischen Kriegs. Ein Come–Back für dieses Regime, das sich von dem südafrikanischen nicht unterscheidet, wird es nicht geben. Sind wir etwa Libanesen? Wir sind Angehörige einzelner Gemeinschaften. Dabei ist nicht die Religion das Entscheidende, die Religion wird politisch ausgenutzt. Wir müssen nicht nur den Süden befreien, sondern auch den libanesischen Menschen. Es gibt im Libanon keine Rechte für Individuen, es gibt nur Rechte für die einzelnen Gemeinschaften. Ich bin deshalb gegen Präsidentschaftswahlen vor einer Wiederverständigung, vor der nationalen Lösung. Ob der Präsident dann Christ ist oder Moslem, soll mir egal sein. Man könnte die Wahlen auf 1989 oder 1990 verschieben. Was könnte ein Präsident tun, der in dieser Lage gewählt wird? Gar nichts. Nicht mehr als Gemayel oder sein Vorgänger Elias Sarkis. Wir haben bislang mit der Krise leben können, weil unsere Währung stabil war. Das ist jetzt vorbei. Drei Lira waren damals einen US–Dollar wert. Heute müssen 400 und 500 Lira für einen Dollar auf den Tisch gelegt werden, es wird nicht noch sechs Jahre so weitergehen können. Im Westen genießt Präsident Gemayel weiterhin großes Ansehen und konnte bei seinen Staatsbesuchen wie jüngst in der BRD immerhin Versprechen für Wirtschaftshilfe in Millionenhöhe verbuchen. Noch ist Amin Gemayel natürlich Staatsoberhaupt, also muß er auch so behandelt werden. Aber auch in der BRD sollte verstanden werden, daß er nicht die Libanesen repräsentiert, sondern lediglich das christliche, d.Red. Regime. Dankeschön für deutsche Hilfe, doch müssen die Deutschen dabei aufpassen. Die Hilfe, die Gemayel versprochen wird, bedeutet nicht unbedingt Hilfe für das libanesische Volk. Sie haben kürzlich bei der Freilassung ausländischer Geiseln mitgewirkt. Kann sich die deutsche Familie Cordes Hoffnungen auf ein frohes Neues Jahr machen? Es hat sich als wenig vorteilhaft erwiesen, über die Verhandlungen und Freilassungen der Geiseln zu sprechen. Doch zum Schicksal des Deutschen kann ich sagen: Seien Sie optimistisch, der Tag seiner Freilassung ist nicht mehr fern, es wird sehr bald soweit sein.