Prostitution - (k)ein AIDS–Risiko?

■ Die unterschiedliche Umgangsweise bundesdeutscher Großstädte mit Prostitution im Zeichen von AIDS

Zwangsmaßnahmen oder Aufklärung - die allgemeine Alternative im Umgang mit AIDS stellt sich vor allem gegenüber sogenannten Risikogruppen. Entsprechend unterschiedlich sieht die Praxis zwischen Städten wie München oder Hamburg aus. Entscheidend für den Maßnahmenkatalog ist die Definition des Problems: Werden Prostituierte generell zum Risiko erklärt, oder geht es nicht vielmehr um die Freier, die sich hartnäckig weigern, Kondome zu benutzen.

Die von der Stadt Frankfurt geplanten Absonderungen „unbelehrbarer“ HIV–positiver Prostituierter haben die Diskussion um das einschlägige Gewerbe im Zeitalter von AIDS neu entfacht. Für die einen gilt die Prostitution als epidemiologische Schlüsselstelle für die Ausbreitung der Seuche, für die anderen sind Prostituierte weder Risikogruppe noch Ausbreitungsherd und von AIDS nicht mehr betroffen als jede andere Berufsgruppe. Die bisherigen Untersuchungen an Prostituierten in europäischen Großstädten zeigen, daß bis auf wenige Ausnahmen nur solche Frauen mit dem Virus infiziert sind, die zur Risikogruppe der Fixerinnen gehören, also Prostituierte, die über den Strich ihre Drogen finanzieren. Dennoch ist das gesamte Gewerbe durch Politiker und Medien zu einem Risikofaktor erklärt worden, obwohl Umfragen belegen, daß vor allem der unbelehrbare Freier - für Prostituierte wie Partnerin - zum potentiellen Risiko wird. Wie unterschiedlich westdeutsche Groß städte mit Prostituierten umgehen, zeigen - neben Frankfurt und Berlin - die beiden Beispiele München und Hamburg. Hier vierteljährliche Zwangstests aller Registrierten, dort um Vertrauen werbende Freiwilligkeit. Etwa 1.300 registrierte Prostituierte (bei ständigen Zu– und Abgängen) arbeiten in München. Nach Inkrafttreten des bayerischen Maßnahmenkataloges müssen die Frauen im dreimonatigen Abstand zum HIV–Antikörpertest. „Die Damen werden vorgeladen, und bisher hatten wir damit keinerlei Probleme“, erklärt Karl Thiem, Kreisverwaltungsreferent der Stadt München. Dreimal wurden HIV–Antikörper festgestellt und getreu der bayerischen Linie „per Bescheid die Ausübung der Prostitution untersagt“. Eine der mit Berufsverbot belegten Prostituierten wurde wieder auf dem Strich entdeckt und inzwischen vom Amtsgericht München wegen „versuchter gefährlicher Körperverletzung“ zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Die beiden anderen betroffenen Frauen hätten sich an die Auflagen gehalten, allerdings, so Thiem, sei eine ständige Überwachung unmöglich. Die letzten Testreihen im November (290 Frauen) und Oktober (320 Frauen) verliefen ohne Ausnahme negativ. Sämtliche Prostituierte haben in München außerdem eine „Kondom–Anordnung“ zugestellt bekommen. Durch „Hinweise aus der Szene“ will der AIDS–Politiker und Staatssekretär Peter Gauweiler Verstößen gegen die Kondom–Pflicht nachgehen. Karl Thiem: „Wir können natürlich nicht unter jedes Bett einen Polizisten stellen.“ Thiem bewertet den Vollzug des Maßnahmen– Katalogs insgesamt positiv. Bisher seien keine Frauen zwangsweise zum Test vorgeführt worden. Allerdings: „Wir sind nicht so vermessen zu glauben, daß wir alle Prostituierten registriert haben“, eine 100prozentige Erfassung sei auch in München nicht möglich. In Hamburg wird diese Erfassung gleich gar nicht angestrebt. Schon „vor AIDS“ so Reinhard Hollunder, Referent für Hygienefragen in der Hansestadt, seien die Gesundheitsbücher für die über 2.000 Hamburger Prostituierten abgeschafft worden. Und gerade jetzt seien Zwangsmaßnahmen „völlig unsinnig“. Die Gesundheitsbehörde setzt auf Freiwilligkeit und vertraut auf Streetworker und Sozialarbeiter. Der HIV–Test wird auf freiwilliger Basis und „streng anonymisiert“ angeboten, versichert Holger Hoffmann vom AIDS–Referat. Die Zahlen sehen so aus: Im vergangenen Jahr wurden 3.544 HIV–Tests durchgeführt, darunter 1.223 Erstuntersuchungen. In diesem Jahr waren es 1.500 Tests bei 96 Erstuntersuchungen. Elf Frauen waren in diesen zwei Jahren als infiziert ermittelt worden. Was ist mit ihnen passiert? Zunächst gar nichts. Ihre Anonymität werde gewahrt. „Wenn wir hier Zwangsmaßnahmen ergreifen, würde unser gesamtes Konzept zusammenbrechen“, befürchtet Reinhard Hollunder. Wer käme dann noch zum Test? Die Sozialarbeiter seien in Kontakt mit den elf Frauen, und darauf vertraue die Behörde. Umfassende Beratungsgespräche hätten stattgefunden. Hollunder sieht in den Prostituierten nicht die Hauptverbreiter, sondern die Hauptgefährdeten der Seuche. Seine Präservativ– Appelle sind nicht vorrangig an die Prostituierten gerichtet wie in München. Die Frauen hätten ohnehin ein starkes Eigeninteresse am Schutz durch Kondome, statt dessen „müssen wir an die Freier ran“. Auch Hamburg zieht selbstverständlich ein positives Fazit seiner Freiwilligkeit–Strategie. Zum Test „kommen nicht alle, aber es kommen immer mehr“ (Hollunder). Und die Stadt München habe mindestens eine ebenso hohe Dunkelziffer, glaubt der Hygieniker. Daß die Prostituierten die gesundheitsbewußteste Gruppe sind, wenn es um AIDS geht, ist auch die Erkenntnis des Berliner Gesundheitssenators Fink. Er lehnt nicht nur Zwangstests für Prostiuierte ab, sondern setzt vor allem auf Aufklärung und Information der Frauen und arbeitet mit den Prostituierten zusammen, wo es um Aufklärung der wirklichen Risikogruppen, der Freier, geht. Daß die „Berliner Linie“ Erfolg hat, ist für den Pressesprecher des Gesundheitssenats Schultke offensichtlich, auch wenn es „keine handfesten“ Zahlen etwa über verändertes Sexualverhalten von Freiern und Prostituierten gibt. Denn nach den Statsitiken der Gesundheitsämter ist die Zahl der übertragbaren Geschlechtskrankheiten in Berlin gesunken: Tripper zum Beispiel um 4,6 Prozent, Syphillis um 26,7 Prozent. Zusätzlich hat der Berliner Senat im Mai dieses Jahres auf Anregung der Prostituierten–Selbsthilfegruppe „Hydra“ ein Modellprojekt gestartet, durch das er ausstiegswilligen Prostituierten Unterstützung anbietet. Da dieses Projekt nicht nur HIV–positive Prostituierte anspricht, ist gewährleistet, daß ausgestiegene Prostituierte, sofern sie bekannt werden, nicht von vorn herein als HIV–positiv diskriminiert werden können. Manfred Kriener