Entführte „Gazelle“ schürt Konflikt im Libanon

■ Spannungen zwischen Libanons Christen und Drusen nach Küstenblockade / Armee und Milizen in Alarmbereitschaft Der Pilot eines entführten Hubschraubers wollte gegen Mißstände in der libanesischen Luftwaffe protestieren

Aus Beirut Petra Groll

Endlich, nachdem fast 14 Kriegsjahre den Libanon ruiniert haben, wurde den verfeindeten Parteien Grund und Boden des Landes zu klein. Seit Samstag morgen gilt eine 35 km lange Strecke im Süden Beiruts auf 12 km weit ins Mittelmeer als militärisches Sperrgebiet, eine ungefähr gleichgroße Zone im Osten und Nordosten der libanesischen Hauptstadt als Kriegsgebiet. Zum neuen Jahr konnten die Libanesen auch Marine und Luftwaffe im Einsatz bestaunen, Institutionen, die gleichermaßen selten in Erscheinung treten, und wenn überhaupt, dann gegen die eigenen Landsleute. Regimetragende christliche Teile der libanesischen Armee hatten bereits am Freitagabend angedroht, ab 8.00 Uhr am folgenden Morgen jede Art von Schiff, Fähre oder Fischerboot daran zu hindern, einen der zwei Häfen von Khaldeh und Jiyeh, beide unter Kontrolle der Drusenpartei PSP (Progressiv–Sozialistische–Partei) anzulaufen. Die Blockade des Küstenabschnitts wurde am Samstag durchgesetzt: Zwei Frachter, die den südlicheren Hafen von Jiyeh ansteuerten, wurden weiter in Richtung Süden abgedrängt. Der regimenahe Radiosender Stimme des Libanon meldete später, eines der beiden Schiffe sei von zwei „unidentifizierten“ Schiffen auch vom Anlaufen des Hafens von Saida abgehalten worden - eine Nachricht, die gewöhnlich ein Manöver der israelischen Armee bezeichnet, die ihrerseits die Seekontrolle über die südlibanesische Küste beansprucht. Drusenfürst und PSP–Chef Walid Junblatt, zu Besuch in der jordanischen Hauptstadt Amman, verstand die Maßnahmen der libanesischen Armeeführung als „Kriegserklärung“ und versicherte, seine in den Choufbergen postierte Artillerie werde jede Attacke der Armee zu vergelten wissen: an den Schiffen, die versuchen sollten, die im Nordosten Beiruts gelegenen Häfen anzulaufen, wo die Armee bzw. die regimenahe Christen–Miliz Forces Libanaises das Zepter schwingen. „Wenn die Armee den Krieg will“, beschied Junblatt, „dann werden die Drusen ihn führen.“ Starke Worte des Milizchefs, die die Armeeführung an ihre schmerzliche Niederlage gegen die Drusen und deren nationalistisch–moslemische Verbündete im „Krieg der Berge“ 1984 erinnern. Damals hatte der libanesische Staatspräsident versucht, seine Autorität aufs moslemische Westbeirut und die von der Opposition kontrollierten Gebiete auszudehnen. Der Versuch endete mit dem Rücktritt der Regierung. Der Anlaß für die jetzige Mobilmachung, die neben Armee und PSP auch für drei weitere Opposi tionsparteien gilt, ist vergleichsweise gering und selbst nach den Worten des libanesischen Interims–Premier Selim El–Hoss „eine unverständliche Überreaktion“ seitens des Militärs: Aus Protest gegen zahlreiche Mißstände in der Armee und vor allem der libanesi schen Luftwaffe hatte am Mittwoch der Pilot eines Armeehubschraubers vom in Frankreich gefertigten Typ „Gazelle“ die Maschine „entführt“. Er war von der im „Christenland“ gelegenen Armeebasis „Adma“ zu einer Routineübung gestartet, hatte in halsbrecherischem Tiefflug die an der libanesischen Küste stationierte syrische Luftabwehr durchbrochen und war in den Choufbergen, dem Stammland der Drusen, gelandet. Während der Pilot der versammelten Presse am Silvestermorgen die Motive seiner Protestaktion erläuterte, überflogen Aufklärungsmaschinen der Armee die drusischen Berge. Militärkreise des israelischen Nachbarlandes zeigten sich beunruhigt und befürchteten schon, Palästinenser könnten in den Besitz der Maschine kommen. Näher dran liegt jedoch Ostbeirut, dessen christlich–maronitische Herrscher gleichermaßen mit Israel wie auch den USA im Bunde stehen und zum Jahresanfang den Besuch des US–Sonderbotschafters Murphy erwarten. Die Aktion des Hubschrauberpiloten, einer von nur zehn Prozent moslemischen Luftwaffenangehörigen, und seine hehren Motive - wie etwa auf die vor allem von der maronitischen Großbourgeoisie genutzten Hubschrauberflüge von Ostbeirut nach Zypern hinzuweisen - waren bereits am Wochenende aus dem Mittelpunkt des Interesses gerückt. Ebenso der Vorwurf des Piloten, die Armeeführung habe die Aufklärung des tödlichen Attentats gegen Premierminister Rashid Karameh im Juni vergangenen Jahres hintertrieben. Der sunnitische Premier Karameh war Opfer einer Bombe geworden, die während des Hubschrauberfluges von der Armeebasis Adma zu seinem Familiensitz im nordlibanesischen Tripoli hinter seinem Sitz explodiert war. Die libanesische Armee hatte den Piloten und seine Schutzmacht PSP ultimativ zur Rückgabe der entführten „Gazelle“ aufgefordert und die Blockade der beiden Drusenhäfen beschlossen, nachdem die PSP den „revolutionären Akt“ des Piloten unterstützte und ankündigte, den Hubschrauber „nie und nimmer“ zurückzugeben. Die Häfen sind nicht nur zentral wichtig für den Waffennachschub der Miliz, sondern ebenso tragend für die Versorgung des „Drusenlandes“ mit allen möglichen zivilen Gütern, von importierten Lebensmitteln bis zu Öl und anderen Petro–Produkten.