Einer gegen die ganze Volkszählung

Der Bremer Bürger, pensionierte Lehrer und Friedens-Aktivist Rudolf Prahm verfaßte eine Petition gegen die Volkszählung und beantragte Verschiebung „wegen falscher, irreführender und täuschender Informationen“ / Bonner Antwort noch nicht in Sicht  ■ Aus Bremen Susanne Paas

Auf seine gewitzte und gleichzeitig akribische Art hat der pensionierte Bremer Lehrer Rudolf Prahm schon im vergangenen Mai einen Alleingang gegen die Volkszählung gestartet: Er schickte eine Petition an den Deutschen Bundestag. Und daran hält er ganz unerschütterlich noch zu einer Zeit fest, in der sogar die Bremer Boykottbewegung das Ausbleiben von Zwangsmaßnahmen als Erfolg feierte und mit dem neuen Innensenator unter Adventsschmuck über Abschluß und Ausklang der „Volksaushorchung“ zu reden begann.

Rudolf Prahm ist Realist. Gegen das vom Bundestag verabschiedete und vom Bundesverfassungsgericht für rechtens erklärte Volkszählungsgesetz anzugehen oder zu lamentieren, hielt er für Zeitverschwendung. Er nahm den Bonner Bundestag und das Karlsruher Gericht beim Wort, vertiefte sich als engagierter Bürger in die Details und stellte in Bonn und Bremen eine Reihe ebenso gründlicher wie bislang unbeantworteter Fragen.

Ob die Befragten jüdischer, römisch-katholischer, islamischer, evangelischer oder sonstiger Religionszugehörigkeit sind, soll auf die Frage (4) des Personenbogens geantwortet werden. „Warum?“ fragte Prahm sich und andere und grub eine Drucksache des Bundestages mit einer dazugehörigen Erklärung aus: Für die Planung kirchlicher Bauten, Zuweisung von ReligionslehrerInnen und die Festlegung kirchlicher Feiertage sei dies von größter Bedeutung. Prahm rief das Katholische Büro in Bonn und die EKD (Evangelische Kirche Deutschlands) an. Ob die Volkszählung für die Kirchen erforderlich sei? „Beide haben klar mit nein geantwortet“, berichtete Prahm, „und über Lehrerstellen und Feiertage entscheiden die Länder ganz unterschiedlich, nach Haushalt und nicht nach den Volkszählungs-Daten.

„Ähnlich suspekt war dem Friedensaktivist die Frage (5) nach der Staatsangehörigkeit. Wenn es wirklich, wie in der Bonner Drucksache behauptet, um die Planung schulischer und beruflicher Bildung oder um die Versorgung mit Wohnraum ginge, wären die einzelnen Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Muttersprachen von großer Bedeutung. Warum Menschen aus Frankreich, Spanien, Portugal oder Großbritannien gemeinsam als „Übrige“ erfaßt, Jugoslawen, Griechen, Italiener und Türken aber getrennt gezählt werden, hat für Rudolf Prahm wenig mit dem Ausbau des muttersprachlichen Unterrichts in Schulen, aber viel mit dem „Spannungs- und Verteidigungsfall“ und den Plänen der Zivilverteidigung zu tun. „Da Jugoslawen weder zur Nato noch zum Warschauer Pakt gehören, werden sie im Ernstfall als Risikopersonen in die Heimat gebracht“, schrieb Prahm in seiner Petition. „Und Griechenland, Italien und Türkei haben Anspruch auf Regelungen, daß sie ihre beorderten Männer noch zurückbekommen, wenn Bundesdeutsche schon längst dem Stay- put-Befehl unterliegen und den Landkreis nicht mehr verlassen dürfen.“ Dieselben militärischen Zusammenhänge und nicht die vorgebliche „bedarfsgerechte Gestaltung des Öffentlichen Personennahverkehrs“ vermutet der rührige Friedensaktivist auch hinter der unscheinbaren Klammer (Pendler) auf dem Personenbogen und hinter den Fragen nach dem Verkehrsmittel und der Zeit für den Weg zue Arbeitsstätte (13) und (14). „Nach den Materialien des Statistischen Bundesamtes soll die Auswertung zwischen innerörtlichen und überregionalen Pendlern unterscheiden.“ Prahm sieht einen Zusammenhang mit dem Aufenthaltsregelungsgesetz, „das sich mit Bevölkerungsbewegungen und deren Lähmung beschäftigt.“ Die Bremer Straßenbahn AG jedenfalls, so fand der Unermüdliche heraus, gestaltet ihre Fahrpläne nicht nach den Ergebnissen der Volksbefragung. Vierteljährlich untersucht ein eigener Mitarbeiterstab, wie viele Fahrgäste auf welchen Strecken welchen Bedarf nach wieviel Zügen und Bussen haben. Ob denn da die Volkszählung nicht wichtig sei? „Nein! Überhaupt nicht!“ sei die entschiedene Antwort aus dem Hause der BSAG gewesen.

Ganz genau nimmt Prahm es mit den Absichten der Volkszähler, eine möglichst genaue und lückenlose Totalerhebung durchführen zu wollen – und schlägt die Statistiker gleichsam mit den eigenen Waffen. So schließt die Frage nach dem Schulabschluß (9) SonderschülerInnen und Hauptschulabgänger ohne Abschluß aus: „Ungenauer kann eine Statistik gar nicht angelegt sein, selbst wenn alle ausfüllen wollten“, findet Prahm. Und die große Gruppe der deutschen Angehörigen alliierter Streitkräfte brauchen sich gar nicht zählen zu lassen, ihre Wohnungen sind für ZählerInnen tabu. „Obwohl sie mit Frauen und Kindern unsere Infrastruktur genauso belasten wie alle anderen auch.“ Wenn bei der Frage nach dem überwiegenden Lebensunterhalt durch Sozialhilfe oder BAföG für StudentInnen gemeinsam abgefragt werden, scheint es nicht um Planung und Finanzierung „für die Zukunft unsrer Kinder“ oder die „Förderung von Studenten“ zu gehen: „Wie kann man Personen, die Landes- und Bundesmittel erhalten, in einen Antworttopf werfen?“ fragt Prahm, der das zumindest höchst ungenau findet.

Im vergangenen Juni, im August und noch einmal im Oktober erhielt der Petitionsschreiber vorläufige Antwort aus Bonn: Er möge sich doch noch gedulden, und die Fragen würden dem Innenminister Zimmermann zur Klärung vorgelegt. Die Volkszählungs-Petition der Humanistischen Union, von 25.000 Menschen unterschrieben, wurde in Bonn inzwischen als „Mißbrauch des Petitionsrechtes“ abgelehnt.