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Kein Bethlehem in den Bergen El Salvadors

■ Die Sieger im Bürgerkrieg stehen noch aus – die Verlierer schon fest: Es sind die Flüchtlinge und Vertriebenen / Zurückgekehrt aus den Lagern in Honduras versuchen sie, sich neue Dörfer und ein neues Leben aufzubauen / Weihnachtsaktion der Solidaritätsgruppen / Eine Reportage aus den umkämpften Gebieten von Thomas Schmid

„Siegen oder Sterben.“ Die Alternative hat man dem jungen Soldaten an der Grenze zu Chalatenango auf die Mütze gestickt, und sein Hemd verkündet stolz: „Los Halcones“ – „Die Falken“. Wer das Departement im Norden El Salvadors, wo seit acht Jahren Krieg herrscht, betreten will, muß eine Erlaubnis der Militärs vorweisen. In der „Minute“, um die er Geduld bittet und die eine Stunde dauert, erzählt der Falke von den „Typen“, die Brücken sprengen und so der armen Landbevölkerung das Leben sauer machen. Der Falke ist korrekt, freundlich, weder arrogant noch herablassend. Dreimal war er zur Ausbildung in den USA. Dort ist man bemüht, aus einer Armee, die jahrzehntelang als selbstherrliche Soldateska das Land knechtete, eine moderne, disziplinierte Truppe zu machen. Hier an der Brücke zu Chalatenango zeitigt die Imagepflege konkreten Erfolg.

Einer der „Typen“, von denen der Falke sprach, begegnet uns später in den Bergen hinter Guarjula. Er kommt zu Pferd den Weg heruntergeschaukelt. Mit seinem Sombrero, dem roten Halstuch, dem dunklen Schnäuzer im gegerbten Gesicht und der lässig über den Sattel gelegten Knarre scheint er einem Western entsprungen zu sein. „Revolution oder Tod“ heißt seinerseits die Alternative auf dem Ärmel des Khakihemdes. Darunter die Insignien der Befreiungsbewegung FMLN.

„Alle sprechen vom Sieg, aber jemand muß ja auch verlieren“, sinniert der junge Jesuitenpfarrer von San Jose de las Flores. Während im Krieg zwischen Armee und Guerilla ein Sieg der einen oder anderen Seite noch nicht einmal absehbar ist, stehen die ersten Verlierer schon fest: die Campesinos, die einfachen Bauern von Chalatenango, Morazan, Cabanas, San Vicente und Usulutan, um nur die am meisten betroffenen Departements zu nennen. Sie haben oft alles verloren, ihre Hütten, ihr Vieh, ihr Land, ihre Angehörigen und ihre Nachbarn. Hunderttausende sind ins Ausland geflüchtet, vor allem ins benachbarte Honduras, nach Mexiko und in die USA. Hunderttausend sind umgezogen, haben ihr Hab und Gut aufgegeben, und sich anderswo in ihrem Heimatland angesiedelt, vor allem in den Armenvierteln am Rand der Hauptstadt. Etwas besseres als den Krieg findest du überall.

Wer nach Guarjila im Osten Chalatenangos gelangen will, muß sich nicht nur bei den Militärs in der Hauptstadt einen Passierschein besorgen. Unterwegs muß er auch noch in der Garnison El Paraiso vortraben. Vor dem Eingangstor zum Militärgelände bittet ein Schild die Besucher, waffenlos einzutreten. Böse Zungen sagen, die Militärs hätten das Schild erst nach 1983 angebracht, als die Garnison, die zu den am besten befestigten des Landes gehört, von Guerilleros in der Silvesternacht erstürmt wurde. Falls ihm die Brigade die Weiterfahrt gestattet, muß sich der Reisende 15 Kilometer weiter in der Militärkommandatur von Chalatenango, Hauptstadt des gleichnamigen Departements, einen Stempel holen. Sie liegt direkt am Hauptplatz des Städtchens, neben der Kirche, die nicht nur Haus Gottes, sondern auch eine strategisch wichtige Stellung der Militärs ist. Auf dem Kirchturm sind Sandsäcke gestapelt, hinter denen sich bei Bedarf Soldaten verschanzen können.

Am Ausgang der Stadt steht der letzte Militärposten. Vorbei an zerstörten Häusern und verlasse nen Weilern erreicht man Guarjila. Jahrelang war das Dörfchen – wie alle hier in der Gegend – zerstört und ausgestorben. Doch zwei Monate nachdem die fünf Präsidenten Mittelamerikas Anfang August in Guatemala einen Friedensplan unterzeichnet hatten, der auch die Repatriierung von Flüchtlingen vorsieht, kam wieder Leben nach Guarjila. Am 11. Oktober überquerte ein Buskonvoi mit über 4.000 Flüchtligen die Grenze zu El Salvador. Sie alle hatten jahrelang im honduranischen Flüchtlingslager Mesa Grande gelebt. 900 von ihnen – die Hälfte unter 13 Jahren – siedelten sich in Guarjila an.

Nun leben sie hier, in ihren Hütten mit aus Maisblättern geflochtenen Wänden und Dächern. Keine Elektrizität, aber immerhin einen Gemeinschaftsbrunnen; keine Toiletten, aber immerhin einige wenige Gemeinschaftslatrinen. Und vor allem sind sie der Enge des Flüchtlingslagers entflohen. Viele von ihnen haben sieben Jahre dort gelebt, das heißt: sich gelangweilt, gewartet. Etwas besseres als Mesa Grande findest du überall.

Nicht ohne Stolz zeigt Dona Teresa, eine kleine, resolute Frau von etwa 40 Jahren, Mitglied der fünfköpfigen „Junta Directiva“, die das Dorf leitet, was dieses in zweieinhalb Monaten alles aufgebaut hat. Und es ist nicht wenig: Hütten, Latrinen, Öfen, in denen die Tortillas, die Maisfladen, die in ganz Mittelamerika das Brot der Armen sind, gebacken werden, und vor allem ein ausgedehnter Garten, wo bald die ersten Tomaten und Kohlköpfe geerntet werden. Bislang ist das Dorf noch vollständig auf die Hilfssendungen der Kirche angewiesen. Doch diese werden öfters von den Militärs aufgehalten. Am 20. Dezember fuhr ein Laster voll Spielzeug für die Kinder aus San Salvador los. Aber das Weihnachtsgeschenk kam nicht an. „Die Militärs haben den Laster nicht durchgelassen, sie haben die Spielsachen wohl an die Kinder von Chanqueza verteilt“, vermutet Teresa.

In Chanqueza haben sich ebenfalls Flüchtlinge vom Mesa Grande angesiedelt, doch unter Wohlwollen und mit Unterstützung von Regierung und Militärs. Als die Rückkehrer hingegen Guarjila wieder aufbauen wollten, stießen sie bei Behörden und Generälen auf Widerstand, und sie konnten sich nur mit Hilfe der Kirche und internationalem Druck durchsetzen. Denn Guarjila liegt in einer Zone, in der auch die Guerilla verkehrt. Darauf weist schon ein Flugblatt hin, das an einigen Bäumen klebt und in dem die FMLN zur Eingliederung in die Untergrundmilizen aufruft. Weshalb sollten die Militärs einer Ansiedlung von Campesinos in diesem Gebiete zustimmen, wo es ihnen doch endlich gelungen war, mit Terror und Bomben die Zivilbevölkerung zu vertreiben und die Guerilla von ihrer sozialen Basis zu isolieren?

Nein, mit den „Muchachos“ hätten sie keine Probleme, meint Julio, ebenfalls Mitglied der „Junta Directiva“, auf Nachfrage. „Die rekrutieren hier niemanden, requirieren keine Nahrungsmittel und vermeiden strikt jede militärische Auseinandersetzung in der Siedlung.“ Ärger gebe es nur mit den Soldaten. Fünf Tage lang hätten sie sich jüngst einquartiert, ohne jemanden zu fragen, und Anfang Dezember hätten sie vom Hubschrauber aus mit Maschinengewehrsalven die Rückkehrer eingeschüchtert. Da nützen auch die weißen Fahnen nichts, die über der Siedlung und alleinstehenden Häusern flattern und militärische Neutralität signalisieren.

Doch die Ex-Flüchtlinge sind fest entschlossen, sich nicht mehr vertreiben zu lassen, fast alle stammen aus der Gegend. Das Land gehört ihnen zwar nicht. Doch Sie verstehen sich nicht als Landbesetzer. „Wir wissen, wer die Besitzer sind“, sagt Julio, „aber wir wissen nicht, wo sie sind. Wenn sie wiederkommen, werden wir uns schon arrangieren.“ Die Eigentümer sind Kleinbauern wie sie, vor dem Krieg geflohen, irgendwohin. Die meisten der neuen Bewohner von Guarjila haben zwar auch ihr eigenes Stück Land, doch das liegt in der Regel weit ab in den Bergen, wo Krieg herrscht und keine Hilfe ankommt. Von Guarjila nach San Jose de las Flores sind es drei Stunden Fußmarsch. Vor dem Krieg fuhren hier Kleinbusse längs, heute kommt man nicht mal mehr mit dem Jeep durch. Die Vegetation hat die verkehrsfreie Zeit genutzt und sich ihr Terrain zurückerobert. Im Dorf, das aus ein paar Dutzend Steinhäusern und wenigen Kopfsteinstraßen besteht, treffen wir überall auf Guerilleros. Sie patrouillieren nicht, nein, sie schlendern die Straßen längs, halten an den Haustüren Schwätzchen, spielen mit geschulterter Waffe mit den Kindern Fußball, lassen sich umstandslos fotografieren. Die meisten tragen irgendein Uniformstück und Gewehre vom US-Typ M-16, „dem Feind abgenommen“, wie sie beteuern. Fast alle sind sie zwischen 15 und 20 Jahre alt, einige auch jünger. Nachts werden sie sich wieder in ihre Lager in die Berge zurückziehen. „Wenn hier eine Familie vier Söhne hat, sind zwei bei den Soldaten und zwei bei den Muchachos“, sagt der junge Jesuitenpfarrer Miguel Angel, der es gelernt hat, sein „Leben in die Hände Gottes zu legen“. Seit Oktober 1986 arbeitet er hier. Vier Monate zuvor waren an die tausend Leute von San Salvador aus aufgebrochen, um das Dorf neu zu besiedeln. Viele von ihnen waren jahrelang in den Bergen umhergeirrt, oft unter dem Schutz der Guerilla, immer auf der Flucht vor den Militärs, bis Hunger und Bomben sie dann in ruhigere Teile des Landes trieben.

Der couragierte Jesuit nimmt kein Blatt vor den Mund, und die Daten hat er alle im Kopf. Am 10.November 1987 kam fünf Wegstunden entfernt bei einem Bombardement ein Kind um, am 14.November patrouillierten Soldaten im nahen Arcatao in den Straßen und schrieen, sie würden die Nonnen und den Jesuiten umbringen. Am 2.Dezember wurde ein Lehrer entführt und am 20.Dezember ein Guerillero erschossen. Die Soldaten hatten sich in den Häusern verschanzt, und als ein erster Spähtrupp der Guerilla aufkreuzte, wurde er gleich unter Beschuß genommen. Ein Junge blieb tot zurück. Der Dorfpfarrer spricht von zwei Frauen, die von Soldaten vergewaltigt wurden, und von einem Mitarbeiter des Roten Kreuzes, dem die Militärs eine lebende Giftschlange zwischen die Füße hielten, um ihn zum sprechen zu bringen.

Die Armee hält die Campesinos von San Jose de las Flores offensichtlich für Sympathisanten und Helfershelfer der „FMLN-Terroristen“ schlechthin. Sie haben zweifellos eher Angst vor den Soldaten, nicht aber vor der Guerilla. Eine Angst, die in der Geschichte der Region wurzelt und fast jeden Tag neue Nahrung findet. Gerade Chalatenango, wo sich schon Anfang der 70er Jahre eine breite christliche Bauernbewegung organisierte, die sich Ende der 70er Jahre dann in kürzester Zeit radikalisierte, hat wohl wie keine andere Region El Salvador unter der militärischen und paramilitärischen Repression gelitten. Schon vor Kriegsbeginn brannten hier Soldaten die Höfe ab, töteten Vieh, massakrierten Bauern. „soldado, ganate la vida dignamente“ – „Soldat, verdiene dein Leben auf eine anständige Weise“, schrieen die Guerilleros vor wenigen Wochen von den umliegenden Hügeln aus den Soldaten zu, die in San Jose de las Flores umzingelt waren, und forderten sie auf, zu desertieren. Auf einen Angriff verzichteten sie.

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