Zum Glück nicht dauernd Südwind

Von West-Firmen in der DDR gebaute Müllverbrennungsanlage gibt Berliner Luft den Rest  ■ Von Petrus Schlot

Südwind bedeutet für Berlin Smog-Wetterlage. 20 Kilometer südlich von Berlin läßt der Senat nun eine Sondermüllverbrennungsanlage ausschließlich für West-Abfall errichten, deren Dreckausstoß weit über den im Bundesgebiet zulässigen Normen liegen wird. Abgesehen von den damit verbundenen Belastungen für die DDR-Bevölkerung beteuert Berlins Umweltsenator Starnick, „daß wir nicht fortwährend von der Windrichtung her mit einem Transport hierher rechnen müssen“. Welch ein Glück!

Schöneiche (DDR), ca. 20 km südlich von Berlin: Seit April sind die Müllfledderer aus den umliegenden Dörfern auf der West- Müllkippe nicht mehr ungestört. Am Rande der eigens für West- Berlin betriebenen DDR-Deponie wird unter Hochdruck gebaut: West-Bagger graben sich durch den Boden, Baukonzerne stellen ihre Firmenschilder ins realsozialistische Territorium. Mitten im Landschaftsschutzgebiet am Galluner Kanal wird im Eiltempo eine Sondermüllverbrennungsanlage errichtet: 15 000 Tonnen West- Berliner Giftmüll soll die DDR hier jährlich verbrennen, wenn ihr die Anlage im April nächsten Jahres wie vereinbart „schlüsselfertig“ übergeben wird. Bauherr ist die zur Hälfte landeseigenen West-Berliner „Berlin Consult“ (BC), geschätzte Baukosten ca. 70 Millionen (West).

Die Chancen, daß die Baufristen eingehalten werden, stehen gut: Im Einparteienstaat gibt es keine Planfeststellungsverfahren, keine Bürgerbeteiligung oder Verwaltungsgerichte, bei denen Umwelt-BIs einen Baustopp einklagen könnten. Auch die bundesdeutschen Umweltgesetze gelten hier nicht – ein unbezahlbarer Standortvorteil für die Planer vom Berliner Senat. Verantwortliche wie der Betriebesenator Wronski (CDU) geben ganz unumwunden zu, daß die Sondermüllverbrennungsanlage jenseits der Mauer errichtet wird, weil das Projekt dort „schneller zu realisieren“ sei.

Ansonsten geben sich die Politiker im Westteil der Stadt reichlich wortkarg, wenn sie nach der Umweltverträglichkeit der neuen Giftmüllverbrennungsanlage gefragt werden: Per Vertrag mit der DDR sei die Einhaltung des „neuesten Stands der Technik“ und die Unterschreitung der Luftreinhalteverordnung „TA Luft“ vereinbart, lautet stereotyp die Antwort. Jede weitere Verantwortung für das Projekt weist der Berliner Senat zurück: Der Müllvertrag sei schließlich zwischen der DDR- Handelsgesellschaft INTRAC und der teilweise im Privatbesitz befindlichen West-Berliner Firma Berlin Consult (BC) geschlossen worden, und damit deren interne Angelegenheit. Nicht der Senat, sondern die beiden Firmen „garantierten dafür, daß die Anlage ordnungsgemäß betrieben“ werde, erläutert der für die Berliner Stadtreinigungsbetriebe verantwortliche Betriebesenator Wronski.

Technologischer Ladenhüter

Intern wird im Berliner Senat als offenes Geheimnis gehandelt, daß die Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche die bundesdeutschen Umweltschutzbestimmungen gar nicht einhalten kann: Das Rauchgasreinigungssystem ist veraltet und filtert schlecht. Außerdem läßt es Unmengen hochtoxischer Schadstoffe als Filterabfall zurück. Solche „Quasi-Trockenfilter“, wie sie in Schöneiche eingebaut werden, würden in West-Berlin heute nicht mehr genehmigt, gibt auch Umweltsenator Starnick (FDP) auf Nachfrage zu.

Besonders Staub und Schwermetalle werden durch den Trockenfilter kaum zurückgehalten. Vom vertraglich vereinbarten „neuesten Stand der Technik“ kann keine Rede sein. Das Bundesumweltministerium hatte bei den Beratungen zum Wasserhaushaltsgesetz schon vor einem Jahr erklärt, „Trockenverfahren sowie Quasi-Trockenverfahren bei der Abgasbehandlung“ seien „nicht mehr Stand der Technik“ (siehe Dokumentation). Die Grenzwerte der TA Luft, die laut Senatsverlautbarung in Schöneiche „weit unterschritten“ werden sollen, könnten „nur mit Naßverfahren erreicht werden“, erklärte schon damals das Bundesumweltministerium.

Warum die Berlin Consult dennoch die veralteten Quasi-Trockenfilter der Firma Fläkt einkaufte, die vom Betriebesenator so beharrlich verteidigt werden, ist bei keinem der Verantwort lichen zu erfahren: Die Naßverfahren sind zwar etwas teurer, aber Geld hat bei den Planungen bislang noch keine Rolle gespielt: Der urspünglich von der Berlin Consult mit 35 Millionen Mark angegebene Baupreis hat sich mittlerweile auf knapp 70 Millionen verdoppelt – ein stolzer Preis im Vergleich zu bundesdeutschen Anlagen.

Die 1981 errichtete Anlage im hessischen Biebesheim hatte bei vierfacher Kapazität nur 125 Millionen Mark gekostet, obwohl auch sie auf einem Gelände ohne jede Infrastuktur errichtet worden war.

Giftentsorgung im Plastikbeutel

Die schlechte Filterleistung ist nicht der einzige Grund, warum Trockenfilter in der Bundesrepublik nicht mehr angewandt werden: Trockenfilter produzieren Unmengen hochgiftiger Rückstände, drei bis viermal soviel wie bei Naßverfahren. Um die Schadstoffe, die bei der Verbrennung des Giftmülls entstehen, zu binden, werden große Mengen Kalk eingesprüht – mit der Folge, daß rund die Hälfte der angelieferten Sondermüllmenge als hochtoxisches Reststoff-Kalkgemisch übrig bleibt und deponiert werden muß. Nach Berechnungen der Berlin Consult werden in Schöneiche 2.275 Tonnen/Jahr Schlacke, 390 to/a Kesselasche und mindestens 3.666 to/a Flugasche zurückbleiben – bei 15.000 Tonnen Jahreskapazität. Die salz- und schwermetallhaltigen Reststoffe sind wasserlöslich und können – wenn sie mit Regenwasser in Berührung kommen, versickern und das Grundwasser verseuchen. In westdeutschen Sondermüllverbrennungsanlagen wie in Biebesheim werden die Filterrückstände deshalb untertage deponiert, in Containern wasserdicht verpackt.

In Schöneiche sollen die giftigen Verbrennungsrückstände einfach auf die Hausmüllkippe neben die Verbrennungsanlage geschüttet werden, geht aus den Planungsunterlagen hervor. Die Beseitigung der Reststoffe sei „alleine Sache der DDR“, sagte der Berliner Umweltsenator Starnick auf die Frage, warum die West-Berliner Behörden diese Umweltvergiftung zulassen und eine sicherere Reststoffentsorgung nicht in den Müllvertrag aufgenommen haben. Die Berlin Consult will der DDR eventuell große Plastikbeutel verkaufen, um die Reststoffentsorgung ein wenig umweltfreundlicher zu gestalten. Reiß- und stapelfest sind die Tüten jedoch nicht.

Während im Bundesgebiet die neue Abfallverordnung „TA Abfall“ vorbereitet wird, die für Filterstäube aus Sondermüllverbrennungsanlagen eine Deponierung untertage oder auf Sondermülldeponien zwingend vorschreiben wird, entgiftet Umweltsenator Starnick die Verbrennungsrückstände verbal: Die Reststoffe „sind gar nicht so giftig“, erklärte der Umweltpolitiker am vergangenen Freitag.

Protest der Behörden

Von West-Berliner Bürgerinitiativen und Umweltschutzgruppen ist bislang kein Protest gegen die potentielle Giftschleuder im Süden der Stadt laut geworden. Der Widerspruch gegen das umweltbelastende Großprojekt kommt diesmal von Behördenvertretern. Der technische Leiter der Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR), Fischer, opponiert offen gegen den Standort in der DDR: Eine Anlage im Stadtgebiet, die „von uns betrieben und von unseren Behörden kontrolliert“ worden wäre, sei ihm lieber gewesen, erklärt er.

Auch in der Umweltbehörde regt sich Widerspruch. Immer wieder forderte die Umweltverwaltung in den vergangenen Monaten, der Verbrennungsofen solle mit mindestens 1.200 Grad betrieben werden, damit sich keine Dioxine bilden.

Die Behörde konnte sich nicht durchsetzen: Nun soll auch bei niedrigeren Temperaturen verbrannt werden. Ob Dioxine und andere krebserzeugende Stoffe freiwerden, wird ohnehin niemand erfahren, denn Berlin Consult hat keine Übermittlung der Meßdaten mit der DDR vereinbart. Möglichst niedrige Temperaturen sind ganz im Sinne der DDR-Betreiber: Bei Temperaturen über 1.200 Grad verschleißt der Brennofen sehr schnell. Ersatzteile aber sind nur für West- Devisen zu haben, und die sind in der DDR knapp. Wenn die PCB- verunreinigten AltÖle, die Insektizide, Lösemittel, Farbreste und was sonst noch an brennbarem Gift nach Schöneiche geliefert werden soll, bei zu niedrigen Temperaturen verbrannt werden, wird die Schadstoffwolke aus dem Schornstein umso giftiger sein.

AL und Umweltminister Töpfer gegen Müllexport

Solange die DDR den West-Müll zum Dumpingpreis von 40 DM abnimmt, haben Müllvermeidungskonzepte in Berlin keine Chance, stellte kürzlich das Institut für ökologisches Recycling in einem Gutachten fest.

In Westdeutschland, wo für die Tonne Sondermüll bis zu 3.500 DM bezahlt werden muß, werden Müllproduzenten schnell zu umweltfreundlicheren Methoden greifen. In Berlin scheint der zuständige Senator Wronski immer mehr Gefallen am bequemen und problemlosen Müllexport in die DDR zu finden: Kürzlich verkündete der CDU-Senator, auch die geplante Hausmüllverbrennungsanlage solle nun doch nicht im Wahlbezirk des Regierenden Bürgermeisters, sondern ebenfalls in der DDR gebaut werden. Die Anwohner des vorgesehenen Standorts in West-Berlin hatten schon zu Klage und Protest bereit in den Startlöchern gestanden.

Bei den Umweltschützern in West-Berlin setzt sich nur langsam die Erkenntnis durch, daß es nicht mehr ausreicht, nur gegen die Müllprojekte diesseits der Mauer zu opponieren. Das St-Florians-Prinzip außer Kraft zu setzen versucht jetzt die Alternative Liste (AL), die eine Umrüstung der Sondermüllverbrennungsanlage in Schöneiche fordert. Wenn die Anlage nicht sofort Naßfilter bekomme und eine Meßdatenübermittlung mit der DDR vereinbart werde, dann müsse die Sondermüllverbrennungsanlage eben in West-Berlin gebaut werden, verlangt ein Antrag der AL, der demnächst im Abgeordnetenhaus zur Abstimmung steht. Vor Weihnachten bekam die Umweltpartei AL unverhoffte Schützenhilfe aus Bonn: Auch Bundesumweltminister Töpfer (CDU) sprach sich gegen weiteren Mülltourismus in die DDR aus: Die Müllprobleme müßten im eigenen Land gelöst und dürften nicht weiterhin in die DDR abgeschoben werden, „wo es keine Bürgerinitiativen gibt, die sich dagegen wehren können“.