CSSR–Parteichef antwortet Dubcek

■ Milos Jakes: „Wir haben niemanden generell verdammt“ /Reaktionen von Jiri Pelikan, Ota Sik und aus Italien

Berlin (taz) - Am vergangenen Dienstag veröffentlichte die taz als einzige deutsche Zeitung große Auszüge aus einem Gespräch, das der ehemalige Vorsitzende der Kommunistischen Partei der Tschecheslowakei, Alexander Dubcek, mit einem Journalisten der italienischen KP–Zeitung LUnita, geführt hatte. Inzwischen gibt es auch eine Reaktion des Generalsekretärs der tschechoslowakischen KP. In der Mittwochausgabe des Parteiblattes Rude Pravo erklärt Milos Jakes, Prag und Moskau hätten, was die Ereignisse des Jahres 1968 angehe, identische Standpunkte. „Wir haben da nichts zu ändern. Schließlich haben wir niemand generell verdammt. Wir sagten, jeder hat die Möglichkeit, auf sozialistischer Basis am öffentlichen Leben teilzunehmen, zum Nutzen des Sozialismus.“Die bundesrepublikanischen Reaktionen auf die erste - nach 19 Jahren - ausführliche Äußerung des Sprechers des von sowjetischen Panzern überrollten Prager Frühlings waren derweil spärlich. Ganz anders die italienischen Zeitungen. In La Repubblica gab Jiri Pelikan, während des Prager Frühlings Chef des tschechoslowakischen Fernsehens, seine Sicht der Situation. Dubceks Vorsch Zentralkomitees, bei der Dubcek nicht anwesend war, aus der Partei ausstoßen. Um eine nationale Wiederversöhnung zu ermöglichen müssen noch ganz andere Veränderungen an Partei– und Staatsspitze geschehen. Jakes ist nur eine Übergangslösung. Ich weiß nicht, ob man Dubceks Optimismus, heute sei eine sowjetische Intervention bei einem Verbündeten undenkbar, teilen kann. Der große Reformer Chrustschow ist mitten in der Entstalinisierung nach Ungarn einmarschiert.“ Im Corriere della Sera erklärt der Chefhistoriker der KPI, Paolo Spriano: „Der Eindruck, daß der ideologische Horizont Dubceks der von vor 20 Jahren geblieben ist, daß das Problem der Erneuerung bei ihm zu sehr auf die „sozialistische Welt“ beschränkt bleibt, scheint mir berechtigt, ja in einigen Passagen des Interviews sogar prägend. Gorbatschow sagt da viel Neueres, er hat eine modernere Auffassung des Verhältnisses von Ost und West, er artikuliert auch viel schärfer die Negativbilanz der Sowjetgesellschaft. Mit einem Wort, er sieht weiter nach vorn.“ In einem Gespräch mit AFP erklärte Ota Sik, der als Vater der Prager Wirtschaftsreform von 1968 gilt - heute ist er Ökonomieprofessor in Sankt Gallen -, der Milos Jakes könne die notwendigen Reformen nicht einleiten, da er „zu sehr von seiner Vergangenheit geprägt“ sei. Jakes habe die Mentalität eines „Polizisten“, der in Begriffen wie „Gehorsam, Disziplin, Kontrolle und Kampf gegen die Feinde der Partei“ denke. H.G.