Die pakistanische Atom-Connection

Findige Einkäufer klaubten auf dem Weltmarkt die Einzelteile für die Urananreicherungsanlage im pakistanischen Kahuta zusammen / Eine betriebsame Beschaffungsorganisation für Atomtechnik findet Lücken im Netz des Atomwaffen-Sperrvertrags / Zahlreiche pakistanische Atomtechniker in der BRD ausgebildet  ■ Von Thomas Scheuer

Wenn das kein Timing ist: Just als am Donnerstag letzter Woche die Transnuklear-Affäre durch Hinweise auf einen Nuklearmaterial- Transfer nach Pakistan und damit eine mögliche Verletzung des Vertrages über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen eine neue Dimension erhielt, wurde in den USA eine umfangreiche Studie veröffentlicht, nach der Pakistans Atomindustrie zur Herstellung der Atombombe in der Lage sein soll. Das Fazit dieser Studie ist im Grunde kalter Kaffee: Seit Jahren sickern immer wieder Studien, Geheimdiensterkenntnisse und nicht zuletzt auch Äußerungen aus Pakistan selbst durch, die bestätigen, daß das atomare Schwellenland, wenn nicht schon jetzt, so zumindest in Kürze keines mehr ist. Pakistans oberster Atomiker Qadeer Khan selbst hat dies im Februar 87 in einem – kurz darauf wieder dementierten – Interviev mit einem indischen Journalisten zugegeben (vgl. taz vom 16.1).

Wie kam das Entwicklungsland Pakistan an Atom-Tech heran? Schließlich war es als Sanktion für die verweigerte Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages von 1970 – offiziell zumindest – vom internationalen Atom-Business ausgeschlossen. Denn als Parteien dieses völkerrechtlichen Paragraphenwerkes sind alle führenden Industrieländer dieser Welt verpflichtet, Atom-Tech nur für zivile Zwecke weiterzureichen und nur in Unterzeichnerländer zu liefern, deren Anlagen dem Überwachungsmechanismus des Vertrages – konkret: den Kontrollen der IAEA-Safeguards – unterliegen.

Die Lücken des Kontrollnetzes

Doch der oberste ethische Grundsatz der weltweiten „nuclear community“, der da lautet: „Mache Profit und mehre ihn!“ machte es den pakistanischen Atomjüngern leicht, immer wieder durch die Maschen der Kontrollnetze zu schlüpfen. Ihre Aquisitions- Agenten fuhren beim Atom-Shopping auf drei Schienen: 1. Die Aneignung von Know-how durch eigene Leute in fremden Anlagen; 2. Die Beschaffung von technischen Komponenten zum Anlagenbau durch Strohmänner auf dem internationalen Graumarkt; 3. Die Beschaffung von spaltbarem Material.

Auf mehreren internationalen Atom-Konferenzen der letzten Jahre durfte ich immer wieder dankbar feststellen, wie wenig Sprachprobleme es doch mit den Teilnehmern gerade aus Indien und Pakistan gibt: Viele von ihnen sprechen fließend Deutsch. Da hatte der indische Ingenieur, der an der von der Industrie veranstalteten „European Nuclear Conference“ im Juni 86 in Genf teilnahm, vier Jahre im Kernforschungszentrum Jülich hinter sich. Und der Delegationsleiter Pakistans auf der großen dreiwöchigen UNO-Atomkonferenz im März 87 las in den Kaffeepausen meist Die Welt. Er hat sein Studium beim Otto-Hahn-Institut absolviert.

Auch der „Vater der pakistanischen Bombe“ wurde, wen wunderts, in der Bundesrepublik ausgebildet: Abdul Qadeer Khan. Nach seinem Studium in Deutschland arbeitete er in der Anreicherungsanlage des niederländisch- britisch-deutschen Konsortiums URENCO im niederländischen Almelo. Von dort verduftete er eines Tages – mitsamt zahlreicher Pläne und Lieferanten-Listen. In den Niederlanden besteht seither Haftbefehl gegen den Atomspion. Heute trägt die Pilot-Anlage der pakistanischen Urananreicherungsanlage in Kahuta seinen Namen.

Der Techno-Graumarkt

Die Schlüsselfigur des pakistanischen Atomprogramms, den die indische Presse den „Dr. Mabuse der Bombe“ nennt, wirkt mittlerweile als Direktor der Firma LIZROSE Ltd. in London. Hinter dem Titel verbirgt sich die pakistanische Beschaffungsorganisation für Atomtechnik.

Pakistans Aquisiteure betrieben besonders zäh und erfolgreich, worin sich auch ihre Kollegen aus Indien, Israel, Südafrika, Brasilien, Argentinien, Libyen und anderen bombengeilen Staaten fleißig übten: Agentenmäßig beackerten sie den Techno-Graumarkt, wobei Ihnen die Profitgier gewissenloser Firmen und die widersprüchliche Außen- und Atom- Politik mancher Staaten ebenso entgegenkamen wie der Zwillingscharakter des Atoms: Manches harmlose Hochdruckventil verlor seine zivile Unschuld in einer Zentrifuge in Kahuta. Es entstand eine regelrechte Pakistan- Connection, deren Struktur bisher nur selten und bruchstückhaft offengelegt wurde, meist in Prozessen, die durch Tips der CIA ausgelöst wurden und meist eines offenbarten: Deutsche Firmen sorgten immer vorneweg für Bombenstimmung. Da sich große und renommierte Firmen weitgehend aus dem Deal raushalten, klauben die Pakistanis auf der halben Welt ihre Komponenten zusammen; oft laufen die Geschäfte über kleine Klitschen, die mit eigentlicher Nukleartechnik manchmal nur indirekt zu tun haben. Zwei Beispiele:

Es war drückend heiß, als im März 1977 der Freiburger Ingenieur Albrecht Migule in einem Hotel in Islamabad mit einheimischen Geschäftspartnern verhandelte. Und da muß der Ventilator wohl die Papiere durcheinandergewirbelt haben. Anders kann Herr Migule, Alleininhaber des kleinen Frei burger Ingenieurbüros CES Kalthof GmbH, im Frühjahr 1985 sich und dem Amtsrichter nicht erklären, wieso da in einigen der Dokumente auf dem Richtertisch von Uranhexafluorid die Rede ist. Will er doch bloß harmlose Schrauben und Röhren für eine Pilotanlage zur Herstellung von Zahnpasta und Kühlmittel geliefert und von Nukleartechnik sowieso gar keine Ahnung haben. Letztere hat er tatsächlich nicht: Seine Auftraggeber hatten ihm hübsch aufgeschrieben, was sie sich made in Germany so wünschten. Migule kaufte das Zeug bei allen möglichen Spezialfirmen zusammen. Problemlos passierte der Techno-Krempel, ganze LKW-Karawanen sollen es gewesen sein, zwischen 1977 und 80 deutsche Grenzen und Zollfreilager, deklariert schlicht als „Apparate und Maschinen“.

Erst auf einen Tip vom CIA trat die deutsche Zollfahndung in Aktion. Im Frühjahr 85 wurde der Schwarzwälder Gemischtwarenhändler vom Freiburger Amtsgericht wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz zu acht Monaten Gefängnis auf Bewährung und 30.000 Mark Geldstrafe verknackt. Gutachter der Bundesregierung hatten im Prozeß bestätigt, daß die aufgeführten Komponenten ausschließlich in einer Uranhexafluorid-Anlage zur Urananreicherung einen Sinn machten. Und: Dem Ansehen der Bundesrepublik werde durch derlei Deals schwerer Schaden zugeführt, siehe Sperrvertrag. Begründung des Richters für das milde Urteil: Es fehle „an Vergleichsmöglichkeiten, um die Tat zu beurteilen“.

Lex Pakistan: neue Embargo-Liste

Fast zeitgleich mit Migules Karawanen lieferten andere Firmen sogenannte „dual-use items“, also Geräte, die sowohl militärisch als auch zivil nutzbar sind und nicht auf den Embargo-Listen auftauchen: Die Team-Industries in Stuttgart-Leonberg schickten Frequenzumformer nach Pakistan, die Singener Aluminium- Walzwerke hochwertige Aluminiumrundstangen und die Kölner Leybold-Heraeus, die im nächsten Fall die Hauptrolle spielen wird, Vakuumpumpen. Für sich genommen allesamt harmlose Geräte, zusammengesetzt das Herzstück einer Urananreicherungsanlage: die Gaszentrifuge.

In den westlichen Regierungen war man über die Pakistan-Connection sehr wohl im Bilde. 1978 begannen einige Länder, sich über Bestellungen Pakistans gegenseitig zu benachrichtigen. Mit der Überarbeitung der internationalen Embargo-Liste für Nuklearkomponenten wurde begonnen. Ihre Neufassung geriet zu einer Lex Pakistan: Waren vorher in dem Tabukatalog nur drei Teile der Gaszentrifuge aufgeführt, wurde ihr in der Neufassung gleich eine mehrseitige Beschreibung gewidmet. Nur: Die neue Liste trat Ende 1984 in Kraft. Da hatten die Klempner in Kahuta die Uranschleuder längst zusammengesetzt. Und Khans Strohmänner schwärmten weiter zum Atom- Shopping aus.

Im Februar 1986 beschlagnahmte der schweizerische Zoll in Basel drei Autoklaven (Stahldruckbehälter). Sie sollten ursprünglich, wie zahlreiche Teile vor ihnen auch, via Lyon auf drei verschiedene französische Flughäfen geschmuggelt und von dort über Tarnfirmen in Dubai und Kuweit nach Islamabad geflogen werden.

Absender war die Handelsfirma MERIMPEX im Fürsten tum Liechtenstein. Die hatte den Export für die Metallwerke Buchs (MWB) im schweizerischen Rheintal bei St. Gallen abgewickelt. Diese wiederum hatten die Autoklaven und andere Geräte im Auftrag einer deutschen Firma hergestellt, deren Name Atom-Insidern wohl geläufig ist: Leybold- Heraeus mit Hauptsitz in Köln und Filiale in Hanau. Bis März 87 gehörte sie zu je einem Drittel dem Heraeus-Konzern, der Degussa AG und der Metallgesellschaft AG in Frankfurt, einer Beteiligungsfirma, von deren Aktien je 10 und die Kuweit Petroleum Corp. halten. Im März 87 übernahm die Degussa, die bekanntlich auch Anteilseigner der Skandalklitsche NUKEM ist, die Leybold-Heraeus zu hundert Prozent. Diese Firma hatte für die Atomiker im Abdul Qadeer Khan-Center einen unschätzbaren Vorteil: Sie lieferte wichtiges Zubehör für die Atomanlagen im britischen Capenhurst, im westdeutschen Gronau und – für die geheimen Projekte der Aufbereitungsanlage URENCO – im niederländischen Almelo.

Seit Abdul Qadeer Khans Lehrjahren waren dort neue Anlagengenerationen entwickelt worden, auf deren Blaupausen Khans Leute in Kahuta mächtig scharf waren. Durch die Zusammenarbeit mit URENCO, so behauptete der Stern im April 87, „gelangte Leybold Heraeus in den Besitz der geheimen Konstruktionspläne, verriet diese an Pakistan und ließ dann nach Khans Anweisungen Anlagen in der Schweiz bauen“. Bei einem weiteren Auftrag für die schweizerischen Metallwerke Buchs (MWB), die übrigens als Zulieferer für das AKW Leibstadt Atom-Erfahrungen sammeln konnten und eng mit dem eidgenössischen „Forschungsinstitut für militärische Bauten“ zusammenarbeiten, gab es allerdings vorübergehend Scherereien: Die URANIT in Jülich, eine Tochterfirma der niederländischen URENCO, hatte Wind von dem Know-how-Transfer bekommen. Mit einigen Vernebelungsmanövern konnten sich Leybold Heraeus und MWB jedoch aus der Affäre ziehen; die Staatsanwaltschaft Aachen stellte die Ermittlungen wegen Diebstahls geistigen Eigentums ein; die Geschäfte gingen weiter.

Leybold-Manager Lerch hatte inzwischen bei einer anderen Firma in Buchs, der „Apparate, Verfahren und Engineering“ (AVE), das Steuer übernommen und hielt engen Kontakt zur MWB. AVE und MWB gehörten damals zeitweise der gleichen Gesellschaft in Liechtenstein.

Uranium-Schwarzmarkt

Fleißig bastelten die Metallarbeiter in Buchs an Khans Atomzubehör in dem Bewußtsein, Teile für eine Argon-Fabrik in Australien herzustellen. Bis die drei Autoklaven am Basler Zoll beschlagnahmt wurden und die Berner Bundesanwaltschaft in Buchs die Baupläne kassierte. Im März 87 wurden drei Manager der MWB und der Geschäftsführer der MERIMPEX wegen Verstoßes gegen die Atomverordnung zu mehreren tausend Franken Geldstrafe verurteilt. Gegen zwei Prokuristen der Leybold-Heraeus GmbH ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft immer noch.

Über einen Strohmann hatte Kahns Londoner Beschaffungsbüro LIZROSE im Oktober 84 übrigens bei der darbenden Arbed Saarstahl einen Spezialstahl bestellt. Unbedarft lieferte Arbed Völklingen im Sommer 85 Stahlstäbe mit einem Durchmesser von exakt 150 mm Durchmesser – just dieses Maß haben die Stahlstäbe in den URENCO-Zentrifugen.

Für ihr ehrgeiziges Atomprogramm mußten die Generäle in Islamabad natürlich tief in die Taschen greifen. Daß diese immer gut gefüllt waren, dafür sorgte jene Regierung, die im Interesse des eigenen Atommonopols ansonsten die Fahne nuklearer Nonproliferation besonders hochhält: Washington. Die pakistanischen Atomiker profitierten von der Schizophrenie der US-Außenpolitik: Die pochte in der Carter-Ära verstärkt auf Nonproliferation und machte die Finanzhilfe für Islamabad von nuklearer Enthaltsamkeit abhängig.

Doch der Reagan-Administration lag mehr an der militärischen und politischen Partnerschaft mit dem strategisch wichtigen Pakistan, das als Aufmarschrampe für den Kampf gegen das sowjetisch besetzte Afghanistan einen wichtigen Platz in der „Reagan-Doktrin“ einnahm. So wurde 1981, nach der Afghanistan-Besetzung und dem Fall des Schahs ein umfangreiches Militärhilfe-Programm für Pakistan angeleiert und das unter Carter verabschiedete Gesetz, wonach die USA keinen Staat unterstützen dürfen, der Atomanlagen betreibt, die nicht der Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde unterstehen, für sechs Jahre außer Kraft gesetzt. Statt dessen mußte Reagan jetzt jährlich dem Kongress versichern, daß Pakistan „keinen nuklearen Sprengkörper besitzt“ und daß die über vier Milliarden US-Dollar diese Gefahr „bedeutend verringert“ hätten.

Die letzte Gelegenheit, bei der die Bemühungen der pakistanischen Atomlobby, auch an angereichertes Uranium heranzukommen, deutlich wurden, war Ende Oktober 1987.

Der belgische Waffenhändler mit dem Pseudonym „Eric“ berichtete über einen illegalen Plutoniumschwarzmarkt in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum. „Eric“ zufolge sei Pakistan unter den Ländern gewesen, die sich, wie Südafrika, Brasilien, Iran und Irak am Kauf von Uranium auf dem Schwarzmarkt interessiert gezeigt hätten.

In welchen Sümpfen die Bombenbastler in Kahuta fündig wurden, das könnte im Zuge des Hanauer Skandals ans Licht kommen. Vielleicht gibts ja wieder mal einen Tip von der CIA.