NUKEM-Spitze notgeschlachtet

■ Geschäftsführung und Aufsichtsratvorsitz komplett ausgewechselt / „Energiereport“ bestreitet Schlüsselrolle im Proliferationsskandal / Peinlicher Rückzieher von Volker Hauff / dpa sieht neue Spur nach Pakistan

Berlin (taz) – Die in Proliferationsverdacht stehende Hanauer Atomfirma NUKEM hat die verbliebenen Geschäftsführer Hackstein und Jelinek-Fink gefeuert. Die beiden wurden vom Aufsichtsrat bis auf weiteres beurlaubt. Auf der gestrigen Sitzung trat außerdem der bisherige NUKEM-Aufsichtsratsvorsitzende Spalthoff von RWE ins zweite Glied zurück. Aus „Zeitgründen“ werde er künftig nur noch den Stellvertreter-Posten innehaben. Neuer Chef des Aufsichtsrats ist Degussa-Vorstandsmitglied Liebmann. Degussa soll die Skandalfirma NUKEM jetzt in die „unternehmerische Obhut“ nehmen. Neue Geschäftsführer sind die Degussa-Manager Rudolf Seif und Bernd Breloer.

Die deutsche Presseagentur hat aus „zuständigen Kreisen in Bonn“ sichere Informationen, daß von Mol spaltbares Material in Drittländer gegangen sei. Pakistan sei einer der Empfänger der illegalen Lieferungen, bei denen es sich um „nicht unerhebliche Mengen“ gehandelt habe. Deutsche Firmen seien in diese Transporte aber nicht verwickelt. Der Direktor des belgischen Atomzentrums Mol, Dejonge, nannte die dpa- Meldung einen „unerklärlichen Irrtum“. Die Agentur versicherte auf Nachfrage, daß sie verläßliche Informationen erhalten habe.

Der Bundestag wird am Donnerstag über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses entscheiden. Offenbar wollen dies alle Bonner Parteien befürworten. Über den Auftrag des Ausschusses gibt es allerdings völlig konträre Vorstellungen. Das SPD- Präsidium hat sich gestern gegen weitere Bau- und Betriebsgenehmigungen von Atomkraftwerken ausgesprochen, der Bau der WAA in Wackersdorf müsse abgebro chen und der Brüter in Kalkar dürfe nicht in Betrieb gehen, sagte Parteichef Vogel in Bonn.

Der Bonner Energie-Report, der dem hessischen Umweltministerium den entscheidenden Hinweis zum Proliferationsverdacht gegeben haben soll, attackiert in seiner neuen Ausgabe die hessische Landesregierung. Tenor: Die Informationen, die das Blatt an Umweltminister Weimar gab, seien viel zu vage und zu dürftig gewesen, um solch eine Bombe loszutreten. Zu seiner Position als Kronzeuge des „unheuerlichen Verdachts“ schreibt das Magazin: „Wir haben Minister Weimar berichtet, daß es über die Mol-Pakistan-Zusammenarbeit auf kerntechnischem Gebiet eine Reihe von Unterlagen gibt und daß uns solche Dokumente vorliegen.

Nun aber kommt der Punkt, der die Bundesrepublik in helle Aufregung versetzt: Zwar haben wir Minister Weimar darüber unterrichtet, daß uns Hinweise vorliegen, die besagen, daß hochradioaktives Material aus Mol über Lübeck verschifft worden sein soll und daß in die Transporte die Hanauer Transnuklear oder eine ihrer internationalen Töchter verwickelt sein soll. Aber wir haben deutlich gemacht, daß es sich bei diesen Informationen nur um Hinweise handelt. Wir haben betont, daß wir über eindeutig belastendes Material noch nicht verfügen. Jedoch am Tag nach unserem Gespräch brach der bekannte politische und publizistische Sturm los. Was war geschehen?“

Der „Energiereport“ bestreitet energisch seine angebliche Schlüsselrolle in dem Skandal. Wallmann und Weimar müßten also auch von anderer Seite Informationen erhalten haben. Wenn ein deutscher Umweltminister und ein deutscher Ministerpräsident an die Öffentlichkeit stürmen, so müsse gefragt werden, ob Weimar und Wallmann mehr wissen oder ob sie unnötig Panik verbreiten.

Der SPD-Politiker Volker Hauff hat gestern seine Aussage vom vergangenen Freitag abgeschwächt: Hauff hatte behauptet, daß „es sogar Beweise dafür gibt, daß die Firma Transnuklear an der Lieferung von atomwaffenfähigem Material nach Pakistan mitgewirkt und insofern gegen den Atomwaffen-Sperrvertrag ver stoßen hat“. „Ich würde diese Formulierung heute nicht mehr gebrauchen“, sagte Hauff auf einer Pressekonferenz, wo er nach den Beweisen befragt wurde. Gleichzeitig betonte Hauff noch einmal, daß er am Freitagnachmittag von einem „Informanten“ angerufen worden sei, deren Seriösität er nicht in Zweifel ziehe. Diese Person habe ihm mitgeteilt, daß bei Nukem ein Dokument „gefunden“ worden sei, welches diesen Verdacht bestätige. Nähere Aussagen wehrte Hauff mit der Bemerkung ab, er wolle „diesen Informanten schützen“. Sein Informant zweifele nicht, „daß das Dokument das beinhaltet, was er mir mitgeteilt hat“. Er, Hauff, wolle seinem Informanten jedoch „zureden“, gegenüber der Hanauer Staatsanwaltschaft auszusagen. Die Hanauer Staatsanwaltschaft war gestern morgen zu einem Ge spräch mit Hauff extra nach Bonn gereist. Das Ergebnis faßte Hauff so zusammen: Richtig sei, daß bis zur Stunde „keine belastenden Beweise“ vorliegen.

Das Bonner Umweltministerium und die Staatsanwaltschaft in Hanau erklärten auch gestern, daß keine konkreten Hinweise auf eine Verletzung des Atomwaffensperrvertrags vorliegen. Manfred Kriener/Ursel Sieber