Finanzkrise in Mannheim: Stadtluft macht arm

Schallmauer von einer Milliarde DM Schulden durchbrochen / Kinder müssen teilweise für Lehrmittel bezahlen / Umstrittene Großprojekte werden dennoch durchgezogen  ■ Von Felix Kurz

Mannheim hat es geschafft. Eine Milliarde DM Schulden schleppt die nordbadische Kommune seit letzter Woche mit sich herum. Wer einmal so viel Schulden hat, hat gewöhnlicherweise ausgesorgt. Das gilt zwar für die aktuelle Verwaltungsspitze in der Stadt, nicht jedoch für die, die letztendlich die abenteuerliche Verschuldung ausbaden müssen. Das sind – wie sollte es auch anders sein – mal wieder die sogenannten Kleinen.

Meist fängt es ganz harmlos an. Da sagt die Lehrerin in der Schule, liebe Kinder, wenn ihr in Zukunft noch Bastel- oder Sportunterricht betreiben wollt, dann müßt ihr schon mal einen Fünfer mitbringen. Warum? Der Stadt fehlt das Geld, um die notwendigen und von ihr laut Gesetz bereitzustellenden Lehrmittel kaufen zu können. Betretene Gesichter bei den SchülerInnen, und die gehen dann ihre Eltern um das notwendige Kleingeld an. Die LehrerInnen sammeln die Knete ein, kaufen die Lehrmittel, und die gehen wie selbstverständlich auch noch in den Besitz der Schule und damit der Stadt über. Manfred Falkenberg, der Vorsitzende des Gesamtelternbeirats an Mannheims Schulen, meint dazu: „Hier werden unstatthafterweise regelmäßig Beiträge von den Eltern abkassiert.“ Denn, so seine Argumentation, es gibt schließlich noch Lehrmittelfreiheit, und was genau an diesem Punkt ansetzt, je nach Sozialstruktur zieht die ein oder andere Schule mehr Hilfen von den Eltern an Land als die andere. „Hier geht eine der wichtigsten sozialen Errungenschaften, nämlich die Ausbildung unabhängig vom sozialen Status, verloren“, meint Manfred Falkenberg.

Was für die Schulen gilt, gilt auch für die komplette Stadtverwaltung. Der Rotstift wird angesetzt. Eine Sperrliste zum Vollzug des Vermögenshaushaltes, die hier und da Ausgabenstreckungen vorsieht, soll ebenso das Finanzloch stopfen helfen wie der sogenannte 1.000 DM-Erlaß. Der sieht vor, daß Ausgaben von mehr als 1.000 DM dem Stadtkämmerer zur Genehmigung vorgelegt werden müssen.

Doch nicht der Rotstift regiert in Mannheim, sondern der Oberbürgermeister Gerhard Widder (SPD) und seine Mehrheitsfraktion. Für im Gemeinderat und Bevölkerung heftig umstrittene Großprojekte hat die Stadt immer noch Geld. Einer der Hauptkritikpunkte am Investitionsgebaren der Verwaltungsspitze ist das „hemmungslose Investieren“ in Prestigeobjekte. Auf dem Quadrat K1 zog die städtische Wohnungsbaugesellschaft MWS einen riesigen Neubau hoch. Doch niemand konnte die hohen Mieten bezahlen. Daraufhin quartierte die Stadt ihr Sozial- und Jugendamt dort ein. Knapp zwei Mio. DM beträgt der Mietpreis pro Jahr bei einem Quadratmeterpreis von knapp unter 30 DM. Die Verlegung des Ausstellungsgeländes Maimarkt, der Neubau verschiedener Museen oder das Stadthaus N1, zahlreiche geplante Tiefgaragen oder ehrgeizige Straßen bauprojekte belasteten und belasten den Stadtsäckel ebenfalls. Die genannten Projekte waren allesamt heftig umkämpft. Nicht nur wegen der hohen Kosten, sondern auch wegen ihrer umstrittenen Nutzung. Teilweise liefen Bürgerbegehren gegen ihre Verwirklichung, aber erfolglos.

Heute sitzt Mannheim auf seinem Schuldenberg. Berechtigterweise verweist der Finanzbürgermeister Norbert Egger dabei auch auf die enormen Soziallasten, die die Kommunen angesichts der immer noch steigenden Arbeitslosenquote tragen müssen. Über 126 Mio. DM berappte die Quadratestadt vergangenes Jahr für Leistungen der Sozialhilfe. Mit acht Prozent liegt die Arbeitslosigkeit weit über dem Landesdurchschnitt in Baden-Württemberg. Die hohen Soziallasten sind allen Kommunen in der Bundesrepublik gemein. Denn die Bundesanstalt für Arbeit zahlt nur für einen begrenzten Zeitraum für die Arbeitslose. Wohngeld und Unterstützungen für Empfänger niedriger Renten sind ebenfalls gewichtige Kostenstellen, die die Gemeinden hart treffen. Das wird auch in Zukunft so bleiben.

Zahlreiche Pleiten sorgen allerdings nicht nur für hohe kommunale Ausgaben, sondern auch für geringere Gewerbesteuer-Einnahmen. In Mannheim waren es 1987 rund 30 Mio. DM weniger, die man im Haushalt noch einkalkuliert hatte. Auch dieses Jahr werden mit Sicherheit weniger Einnahmen aus der Gewerbesteuer erzielt werden, als man ursprünglich angenommen hatte, so Finanzbürgermeister Norbert Egger in einem Pressegespräch. Das bedeutet für die Kommune, daß sie sich erneut Einsparungen überlegen und Ausgaben für notwendige Investitionen strecken muß. Aber auch angesichts der jährlichen Belastung des städtischen Haushalts von rund 100 Mio. DM allein für Zins und Tilgung der Kredite, kann Egger noch ruhig schlafen. Daß die Stadt über ihre Verhältnisse gelebt hätte, weist er zurück, auch angesichts der aufwendigen und heftig kritisierten Großprojekte.

Den letzten dicken Ausgaben- Coup beschloß der Gemeinderat am gleichen Tag, als Mannheim die Alptraumgrenze der einen Milliarde DM Schulden überschritt: den Ausbau des Rhein- Neckar-Stadions für das Wirtschaftsunternehmen, den Fußballbundesligisten SV Waldhof Mannheim. Mindestens zehn bis elf Mio. DM kostet der Spaß die Gemeinde. Kleinkunsttheater erwischen aus dem Stadtsäckel allenfalls mal wenige tausend DM. Viel zu wenig, klagt die Szene.

Mannheim wird im Musterländle bei den Schulden nur noch von Stuttgart mit rund 1,3 Mrd. DM übertroffen. Doch die Landeshauptstadt gehört wie Düsseldorf (2,6 Mrd. DM Schulden Ende 1986), Frankfurt (3,3 Mrd.), München (1,8 Mrd.) zu den Kommunen, die sich ihre Kredite auch „leisten“ können. Bei ihnen stimmt die Einnahmeseite, denn damit müssen letztendlich die hohen Zins- und Tilgunsraten beglichen werden. Ganz anders sieht es in Dortmund (1,1 Mrd. DM 1986), Duisburg (1,5 Mrd.), Bochum (1,1 Mrd.), Essen (1,3 Mrd.) und neuerdings auch Köln (3,4 Mrd.) aus. Deren Schicksal ist eben, daß durch starke Ausfälle bei den Einnahmen auch die teuren Kredite kaum noch getilgt werden können. Es geht kaum noch etwas im investiven Bereich der Städte, und auch im Verwaltungshaushalt schwindet der finanzielle Spielraum. Ohnehin sind im Verwaltungshaushalt 90 Prozent der Kosten gesetzlich für Personal und soziale Hilfen festgeklopft. Die restlichen Prozentpunkte gingen bislang jedenfalls auch für Zuschüsse bei Kindergärten, Sportvereinen, im kommunalen Wohnungsbau oder ähnlichem drauf. Das wird sich angesichts der Situation in den Kommunalkassen ändern. Auf die Frage, wann den beispielsweise die Stadt Mannheim wieder schuldenfrei sei, meinte denn auch der Finanzbürgermeister Norbert Egger: „Das ist eine Frage des nächsten Jahrtausends.“