Konzentrationswelle durch „Just-in-time“-Produktion

Für die Zulieferbetriebe brechen durch Verzicht auf Lagerhaltung bei den großen Konzernen harte Zeiten an / Tagung in Hofgeismar / Flexible Arbeit gefragt  ■ Von Jeanette Hofmann

Ein Automobilkonzern, nennen wir ihn Daimler Benz, hat einen Zweigbetrieb in Bremen. In sieben Kilometer Entfernung siedelte Deutschlands größter und nahezu einziger Autositzhersteller ebenfalls ein Werk an. Die Qualität dieser Nachbarschaft, so konnte man letzte Woche in der evangelischen Akademie Hofgeismar lernen, liegt weniger in niedrigen Transportkosten als in der synchron organisierten Produktion beider Betriebe begründet. Alle 20 Minuten liefert Keiper-Recaro seine Autositze an den Hersteller unseres liebsten Statussymbols: „Just-in-time-Produktion“, die Datenfernübertragung machts möglich, die Weltmarktkonkurrenz anscheinend erforderlich. Mit Beispielen dieser Art wurde den Teilnehmern an der Fachtagung „Der Zulieferer on line“, organisiert von der Gesamthochschule Kassel, das sperrige Thema schmackhaft gemacht.

Vor allem so weltmarktabhängige Branchen wie die Automobilindustrie sehen sich in der Klemme, gleichzeitig einen Kampf um Preis, Qualität und Lieferzeiten bestehen zu müssen. Strategien zur Kostenbegrenzung zielen neben einer Steigerung der Produktivität vor allem auf eine Verkürzung der Durchlaufzeiten. So gilt jedes Teil, das in der Werkshalle oder im Lager herumsteht und seiner Weiterverarbeitung harrt, als totes Kapital und das kostet Geld. Gerade im Lagerbereich ist der Rationalisierungszwang sehr groß, weil hier die Kosten durch den Trend zur „Individualisierung der Produkte“ (ein VW-Golf ist derweil in 40.000 Ausführungen zu haben) merklich gestiegen sind. Mit der Durchsetzung des „just-in-time“-Prinzips gelingt es dem Hersteller, einen Teil des Lagers dicht zu machen. Die Vorprodukte werden nicht mehr auf Halde, sondern in wohlproportionierten Mengen just zum Zeitpunkt ihrer Weiterverarbeitung geliefert.

Verlierer dieses neuen Produktionssystems, darin waren sich die Teilnehmer der Tagung weitgehend einig, sind allein die Zulieferbetriebe. Zunächst einmal werden es weniger an der Zahl, da die Selektionskriterien umstandshalber steigen. Lieferpünktlichkeit gewinnt eine entscheidende Bedeutung (bei nicht einkalkulierten Zwischenfällen wird auch schon mal ein Hubschrauber eingesetzt), ebenso die Qualität der gelieferten Teile, denn eine Qualitätskontrolle beim Abnehmer findet nicht mehr statt.

Was bedeutet nun die compu tergestützte „Hochzeit“ für den auserwählten Zulieferer, so er die hohen Einstiegsinvestitionskosten (z.B. für das EDV-System) zu tragen in der Lage ist? Bernhard Nagel, Jurist und Veranstalter der Tagung, referierte über die Rahmenverträge, die die „just-in-ti me“-Produktion auf ihre rechtlichen Füße stellt. Sie verpflichten den Zulieferer zwar zu einer bestimmten „Mindestkapazitäts vorhaltung“, bleiben im Hinblick auf die tatsächliche Abnahmemenge aber vage. Der (Automobil-)Hersteller wälzt auf diese Weise einen Teil seines Produktionsrisikos auf den Zulieferer ab. Die hierarchische Natur des „on-line“-Unternehmensverbun des offenbart sich gleichermaßen in der Preisgestaltung: „Da schickt das Großunternehmen sein Wertanalyseteam zum Zulieferer und diktiert ihm anschließend den Preis“, so ein Tagungsreferent. Tatsächlich nehmen die in diesem Zusammenhang zu beobachtenden Eingriffe der „Großen“ in die traditionell heilige Unternehmenssphäre der abhängigen „Kleinen“ konzernartige Formen an. Die Unternehmensgrenzen verwischen, ohne daß der Zulieferbetrieb im rechtlichen Sinne geschluckt wird. Das nämlich hätte u.a. zur Folge, daß die Konzernmutter im Falle des Konkurses der Tochter zum Verlustausgleich verpflichtet wäre.

Den arbeitsrechtlichen Konsequenzen für die Beschäftigten widmete sich der Beitrag von Professor Wolfgang Däubler (Uni Bremen). Die „just-in-time“-Produktion stelle einen Anreiz zum Abschluß befristeter Arbeitsverträge dar. Wenn der Zulieferer die Autonomie über Produktionsentscheidungen verliert, seine Kapazitätsauslastung fremdbestimmt ist, wird er das Risiko möglichst auf die Beschäftigten streuen.

Fazit der Tagung: Sollte sich die „just-in-time“-Produktion in nennenswertem Umfang durchsetzen, steht der bunderepublikanischen Wirtschaft eine neue Konzentrationswelle ins Haus, die vor allem zulasten der mittelständischen Betriebe und der dort Beschäftigten gehen wird.