: Abtreibung
■ Wie die DDR ihre Kritiker los wird
Manche wird es freuen. Das deutsch-deutsche Krisenmanagement hat funktioniert. Schon jetzt klingen die Sprüche von der „Humanitären Lösung“ in den Ohren. Die DDR-Opposition ist wieder einmal einiger ihrer Köpfe und Herzen beraubt. Mit der „freiwilligen“ Übersiedlung von Stephan Krawcyk und Freya Klier in die Bundesrepublik sind die Hoffnungen für eine positive Veränderung in der DDR geringer geworden. Denn die am 17. Januar Verhafteten sind für ihre Freunde ein Symbol für das Dableiben, für das Miteinanderkämpfen, das Aushalten. Sie wollten eine „Alternative zu Ausreise und Gefängnis“, wollten die Freilassung in die DDR und nicht die „Abtreibung in den Westen“ (Stephan Krawczyk).
Die Hoffnungen, die mit den ersten Äußerungen des DDR-Anwalts Vogel gestern auftauchten, daß die Inhaftierten wirklich freiwillig ihr Reiseziel aussuchen könnten, mußten so der Bestürzung weichen und werden Ratlosigkeit zurücklassen. Die DDR hat nach ihren alten Maximen gehandelt und in der Bundesrepublik ihre Verbündete gefunden. Denn die „Humanitäre Lösung“ ist Ausdruck eines deutsch-deutschen Einverständnisses, das jetzt für unabhängige Politikformen und Systemübergreifende Initiativen keinen Raum lassen will. Die Dynamik der Entwicklung in den letzten Tagen, die in der ungeheuren Solidaritätswelle in der DDR ihren Ausdruck fand, ist nicht nur dort, sondern auch hier ein Dorn im Auge. Mit Angriffen auf das alternativ-grüne Spektrum im Westen nahm die SED die Kumpanei aus Bonn in Anspruch.
Die Deutschlandpolitiker von Rehlinger, Gaus bis Bahr müssen sich fragen lassen, ob ihre Form der Konfliktlösung ihren „humanitären“ Ansprüchen noch gerecht wird. Sie widerspiegelt die Angst, daß andere Politikformen als die der rein zwischenstaatlichen der Kontrolle von oben entgleiten könnten. Der Druck von der einen und das Mittun der anderen Seite sollen der Resignation und der Ruhe Vorschub leisten. Erich Rathfelder
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