Über den abenteuerlichen Alltag in Nicaragua

In dem durch Krieg gebeutelten Land ist die Infrastruktur stark in Mitleidenschaft gezogen / Strom, Wasser und Benzin sind oft nicht zu haben, wie auch die Münzen für öffentliche Telefone vom Markt verschwunden sind / Taxis muß man mieten  ■ Aus Managua Thomas Schmid

„Wir sind das einzige Land der Welt“, spottet man in Nicaragua, „wo alle darauf warten, daß endlich die Russen kommen.“ Wenn nämlich ein Sowjettanker im Hafen von Corinto vor Anker geht, gibt es bald wieder Benzin. Die Lage ist in der Tat katastrophal. Vor den Tankstellen bilden sich endlose Schlangen. Daß man sechs Stunden ansteht – oft vergeblich, weil dann der Tankwagen, anders als es die Gerüchte wollten, doch nicht ankommt – liegt durchaus im Bereich der hie sigen Normalität. Viele schlafen in ihren Autos, um einen guten Platz in der Schlange nicht aufgeben zu müssen. Und wer es sich leisten kann, kauft sich eben jemanden, der für ihn den Platz hält. Vier Gallonen, etwa 16 Liter, ist die Höchstmenge, die man zapfen darf. Wer mehr braucht, saugt einen Schlauch an und leert den Tank in einen Kanister, was verboten ist, und stellt sich ganz hinten wieder an. Wenn er Glück hat, ist er noch am selben Tag wieder an der Tanksäule. Wenn er Pech in seinem Glück hat, ist die dann schon wieder leer. Der Liter kostet umgerechnet übrigens zwei Pfennig, für die Ausländer 40 Pfennig, dafür stehen sie an der Dollar- Tankstelle auch nicht so lange an.

Noch schlimmer dran ist, wer kein Auto hat. Der steht dann nämlich oft hilflos am Straßenrand und sieht prallvolle Autobusse vorbeifahren. Eine Busfahrkarte kostet zur Zeit umgerechnet 0,03 Pfennig. Wer eine Tasche, ein Kleinkind oder einen Opa mit sich führt, hat allerdings keine Chance. Der muß sich dann schon ein Sammeltaxi heranwinken, dessen Chauffeur ihm in der Regel mitteilen wird, daß er gerade anderswo als gewünscht längsfährt. Einzeltaxis kann man nur noch telefonisch bestellen. Zwar gibt es noch einige wenige öffentliche Telefone, die sogar funktionieren. Doch da der Dollar offiziell zu 21.000 Cordobas und auf dem Schwarzmarkt zu 50.000 getauscht wird, sind die Ein-Cordoba-Münzen, die der Schlitz schlucken würde, nirgendwo mehr aufzutreiben. Die schweren Geldstücke mit dem Sandino-Kopf galten als beliebte Souvenirs. Also wird man von zuhause anrufen, um ein Taxi zu „mieten“, wie man hier sagt. Denn man bezahlt inzwischen pro Zeiteinheit. Der Mindesteinsatz von einer Stunde kostet – je nach Benzinlage – zwischen 70.000 und 100.000 Cordobas, also um die drei Mark pro Stunde. Wer viel zu erledigen hat, leistet sich dann eben einen Fahrdienst für den ganzen Tag. Andernfalls drohen ihm stundenlange Fußmärsche durch die schwüle Hitze der Millionenstadt, die immense Ausmaße angenommen hat, weil es aus Gründen der Erdbebensicherheit – mit Ausnahmen, die sich an zwei Händen abzählen lassen – nur einstöckige Häuser und Hütten gibt. Zweimal pro Woche wird unser Fußgänger sich schweißgebadet ins Bett legen müssen, falls er sich nicht prophylaktisch am Vortag, als es noch fließendes Wasser gab, einen Eimer abgefüllt hat. Hat er aber einen der fünf übrigen Tage erwischt, wird er sich in der Regel im Dunkeln duschen. Täglich fällt – sobald es dunkel wird – drei Stunden der Strom aus. Wen es wo und wann trifft, kann man der Tagespresse entnehmen. Dann läuft gar nichts mehr, das Eis im Kühlschrank taut auf, das Bier wird warm, die Kaffeemaschine liegt brach und in den kleinen Lebensmittelgeschäften wird die Milch sauer. Wenn der Strom wieder kommt, dann gleich so heftig, daß er Kühlschränken und Glotzen den Geist ausbläst.

Natürlich bedarf all dies einer Erklärung: Es herrscht Krieg im Land und Devisenmangel, es gibt einen Handelsboykott und Ersatzteilmangel. Doch bleibt dem Schreibenden keine Zeit für lange Explikationen. In zwei Stunden geht nämlich das Licht aus. Und ohne Strom keine Textübertragung. Zwei Stunden muß man schon einrechnen, um eine Leitung zu kriegen. Also, tschüß, ich wähle mir jetzt mal die Finger wund.