Ellweiler strahlt: Der Staatsanwalt ermittelt

Urananlage im Hunsrück: Ermittlungen wegen des Verdachts unerlaubter Lagerung oder Verarbeitung von Kernbrennstoffen / Sonderkommission prüft auch mögliche radioaktive Grundwasserverseuchungen / Für umdeklarierte Fässer nicht zuständig / Immer mehr Leukämie-Erkrankungen bei Kindern  ■ Von Felix Kurz

Die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach ermittelt jetzt auch im verträumten, tief im Hunsrück gelegenen rheinland-pfälzischen Steinautal im Kreis Birkenfeld: gegen die Betreiber der Urananlage Ellweiler, im Zusammenhang mit dem Atomskandal um Nukem-Transnuklear. In Ellweiler war im Januar ein 15-Kilo-Faß der Hanauer Nukem aufgetaucht, das vermutlich aus dem belgischen Mol stammt. Derzeit wird der Inhalt des Fasses auf möglichen Plutoniumgehalt untersucht – ausgerechnet im Kernforschungszentrum Karlsruhe; ein unabhängiges Institut steht für solche Untersuchungen in der Bundesrepublik nicht zur Verfügung. Wegen des Verdachts „ungenehmigter Lagerung und unerlaubter Bearbeitung von Kernbrennstoffen“ werde in Ellweiler ermittelt, erklärte auf Anfrage der leitende Oberstaatsanwalt in Bad Kreuznach, Hermann Hillenbrand, gegenüber der taz. Im rheinland- pfälzischen Landeskriminalamt sei eine „besondere Kommission“ mit dieser Aufgabe betraut. Ge prüft würden auch etwaige radioaktive Grundwasserverseuchungen durch die Privatfirma „Gewerkschaft Brunhilde“. Dagegen sei die staatsanwaltliche Ermittlungebehörde für mögliche „Umdeklarierungen“ von Fässern, die Grüne und SPD im Landtag zum Thema gemacht hatten, nicht zuständig. In Ellweiler soll für den US-Markt bestimmtes Uran aus Südafrika in australisches Uran umdeklariert worden sein, um das US-Handelsembargo gegen Südafrika zu umgehen. Das CDU-geführte Mainzer Umweltministerium hatte diesen Vorwurf als „haltlos“ zurückgewiesen: Nicht Fässer seien umdeklariert worden, sondern auf den Lieferpapieren sei mit Genehmigung der EG- Behörde Euratom ein Nationalitätentausch erfolgt. Dies sei üblich, um Zwischentransporte und Verwaltungsaufwand zu vermeiden.

Große Besorgnis und erhebliche Unruhe in der Bevölkerung gilt den alarmierenden Blutkrebs- Erkrankungen von immer mehr Kindern. So hat der viereinhalbjährige Sohn von Gabi Werner aus dem vier Kilometer entfernten Ort Gimbweiler Leukämie. Sie kämpft mittlerweile mit zahlreichen anderen BürgerInnen in einer Initiative gegen die Nuklearbetriebe in Ellweiler. Seitdem 1984 der kleine Stefan Morsch trotz einer spektakulären Knochenmarkstransplantation in den USA an Leukämie starb, hat sein Vater Emil Morsch als Geschäftsführer der Stefan-Morsch-Stiftung in Birkenfeld von zehn Blutkrebsfällen im Umkreis der Urananlage erfahren. Gabi Werner berichtete gegenüber der taz, daß auch mehrere Kinder von amerikanischen Besatzungssoldaten aus dem nahegelenenen Birkenfeld an Leukämie erkrankt seien.

Die 300-Seelen-Gemeinde Ellweiler hat gleich für zwei Nuklear- Betriebe Pate gestanden: für die Landessammelstelle für schwach- und mittelaktive Abfälle und für die Urananlage Ellweiler der Privatfirma „Gewerkschaft Brunhilde“. Beide grenzen unmittelbar aneinander, und schon 1978 wurde an den Ufern des Flüßchens Steinau, wo die Urananlage liegt, stark erhöhte Strahlenwerte gemessen. So hatte dort 1978 der Arbeitskreis Strahlenschutz des Freiburger Öko-Instituts das 30- bis 90fache der zulässigen Höchstdosis von damals 30 millirem gemessen.

1959 wurde in Ellweiler die erste bundesdeutsche Anlage zur Uranerzverarbeitung errichtet. Ein Jahr später begann die Privatfirma „Gewerkschaft Brunhilde“, das vulkanische Gestein bei Ellweiler nach Uran auszubeuten. Damals lagerte man das Uranerz und verstrahlte Abfälle einfach im freien Gelände. Später wurde das strahlende Material schlicht mit Erdreich zugedeckt. Möglicherweise, meinen AnwohnerInnen, sei hierin die hohe radioaktive Strahlung in der Umgebung der Uran-Anlagen zu erklären.

1964 stellte das Unternehmen den Uran-Abbau aus Rentabilitätsgründen wieder ein. Man bezog nun die Uranerze aus den Vogesen, und seit 1975 erhält die Urananlage Ellweiler ihr Uran aus Menzenschwand im Schwarzwald. Dort liegt für den Abbau von Uran zwar keine Genehmigung vor, aber von dem Atom-Unternehmen werden jährlich rund 10.000 Tonnen Uranerze abgebaut. Der größte Teil davon wird nach Ellweiler per Bahn oder LKW verschafft und dort zu Uranoxid, dem sogenannten Yellow Cake, aufbereitet, der zur Forschung und Herstellung von Brennelementen benötigt wird. Ohne diese Aufbereitung ist kein Brennelement für einen Atomreaktor zu gewinnen. Das aufbereitete Uranoxid wird weiterverarbeitet zu gasförmigen Uranhexafluorid und dann in der Urananreicherungsanlage Gronau zu 3- bis 5-prozentigen Uran 235 angereichert. Deshalb sind die Anlagen in Ellweiler und in Gronau, die einzigen ihrer Art in der BRD, unverzichtbar für die bundesdeutsche Atomindustrie. Von Gronau gelangt das nukleare Material zur RBU nach Hanau und kommt dann zur Herstellung von Brennelementen in die Nachbarfirmen Alkem und Nukem. Sie können dann in den AKW eingesetzt werden.

Die Bedeutung Ellweilers für die bundesdeutschen Atomkreislauf ist der Anti-Atombewegung bislang verborgen geblieben. Erst mit den Hanauer Skandalfirmen sind auch die Atombetriebe in Ellweiler in das öffentlche Interesse gerückt. Die Landessammelstelle für radioaktive Abfälle aus Medizin, Technik ud Forschung wird den BewohnerInnen immer suspekter, seitdem Bundesumweltminister Klaus Töpfer laut darüber nachdachte, in Ellweiler auch abgebrannte Brennemente aus Atomkraftwerken zwischenzulagern. Auf der Bund/Länderkonferenz im Januar nach dem Bekanntwerden des Skandals um Transnuklear hatte Klaus Töpfer dies den zuständigen Landesumweltministern „explizit“ ans Herz gelegt. Daß diese davon, zumindest in der Öffentlichkeit, nichts wissen wollen, wundert im Bonner Umweltministerium nicht. Dort heißt es, daß die Landessammelstellen für radioaktive Abfälle jetzt mit in das Konzept der Lagerung von Brennelementen einbezogen werden müssen. Welche sich dazu bereits jetzt eignen, und welche erst in diesen Zustand nachgerüstet werden sollen, sei Angelegenheit der Länder.