„Kriegserklärung“ in Wackersdorf

■ Neuer Sicherheitsbericht zur Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf vorgelegt / Änderungen von Kritikern als „optische Täuschung“ bewertet / Indirekt von der DWK zugegeben, daß beim alten Konzept der Ausstoß radioaktiver Schadstoffe zu hoch gewesen wäre

München (taz) – Seit gestern morgen liegt im Münchner Umweltministerium, im Landratsamt Schwandorf sowie im Rathaus in Wackersdorf der neue Sicherheitsbericht zur Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf zur Einsicht für die Bevölkerung aus. Der Sicherheitsbericht ist Grundlage der zweiten atomrechtlichen Teilgenehmigung für die WAA, die von der Betreiberin DWK Ende Januar beantragt worden ist.

„Die DWK kommt heute mit einem völlig anderem Konzept, hat aber wie bereits 1983 immer noch keine Ahnung, wie die Anlage sicherer gebaut werden kann.“ Dies ist das erste Fazit des Diplom-Physikers Michael Sailer vom Ökoin stitut Darmstadt über den jetzt vorgelegten neuen Sicherheitsbericht. Alle WAA-Anlagen, auch das Brennelementeeingangslager, seien bis in die Teilbereiche hinein geändert worden. So seien neue, größere Lagerbehälter, veränderte Zerkleinerungs- und Aus lösungseinrichtungen, größere Gebäude und mehr Leistung geplant: Die jetzt beabsichtigten Apparate könnten jährlich weit mehr als die ursprünglich geplanten 350 Tonnen Schwermetall durchsetzen. „Es wird versucht, eine Großanlage zu errichten und dies zu vertuschen.“ Zu den Änderungen gehöre auch, daß die Jodemission jetzt plötzlich um das Drei- bis Vierfache niedriger angegeben werde. Damit habe die DWK indirekt zugegeben, daß beim alten Konzept der Ausstoß an radioaktiven Schadstoffen zu hoch war. Wie dieser niedrigere Wert jedoch erreicht werden soll, sei aus dem Bericht nicht zu entnehmen. Sailer: „Das ist eine rein optische Täuschung“. Die Anlagenteile würden zum Teil so verändert, daß sie fast nicht wiederzuerkennen seien. Für das Brennelementeeingangslager – es ist im Rohbau fertig – seien zum Beispiel neue größere Lagerbehälter vorgesehen als im ursprünglichen Plan.

Sailer kritisierte auch, daß die Anlage nur für die Erdbebenzone Null ausgelegt ist, obwohl sie nach kerntechnischen Erfahrungen für zwei bis drei abgesichert sein müßte. Ähnliches gilt für den Abfall. In Wackersdorf soll hochradioaktiver Abfall produziert werden, der so nicht endlagerfähig sei. Lapidar werde jedoch behauptet, die produzierten Abfälle entsprächen den Anforderungen zur Lagerung im Schacht Konrad.

Ebensowenig wurden die Erfahrungen mit den vor wenigen Wochen bekanntgewordenen Phänomen der „aufgeblähten“ Atommüllfässer miteinbezogen. Die WAA-Abfälle sollen nach demselben Verfahren behandelt werden wie der Inhalt dieser Fässer, die sich durch Überdruck aufblähten. Auch für den schwach- und mittelradioaktiven Bereich seien keine endlagerfähigen Fässer vorgesehen. Aus diesem Grund befürchtet Sailer, daß sie zur Zwischenlagerung auf dem Gelände bleiben sollen. „Hier soll klammheimlich mit der neuen Auslegung die Kapazität der WAA weiter erhöht werden“, kritisierte Sailer. Nach Berechnungen, die er aufgrund von Angaben zur Durchsetzung von Schwermetall in den Detailunterlagen fand, konnte der Physiker feststellen, daß die Anlage jetzt auf 700 Tonnen konzipiert sei. Diese Zahl sei in den vergangenen Monaten auch im Kernforschungszentrum Karlsruhe genannt worden, von den ursprünglichen 350 Tonnen war nicht mehr die Rede. „Bezüglich der Erkenntnisse zur Seismologie hat die DWK nichts hinzugelernt“, betonte auch der Würzburger Rechtsanwalt und Vertreter der WAA-Gegner Wolfgang Baumann. Der Sicherheitsbericht sei deshalb mit „gravierenden Fehlern grundsätzlicher Art behaftet“. Die Bodenwöhrer Senke als Trinkwasserreservoir sei wiederum „völlig unterbelichtet“ behandelt worden. Als völlig grotesk, bezeichnete es Baumann, zu einem Zeitpunkt in das Verfahren um eine zweite TEG einzusteigen, nachdem das Schicksal der ersten völlig ungewiß sei. Nach dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 29. Januar dieses Jahres sei allen Juristen klar, daß die erste TEG nicht wirksam ist.

Vor dem Rathaus Wackersdorf bildete sich gestern morgen eine Schlange interessierter Bürger die den Sicherheitsbericht einsehen wollten. „Wir brauchen keine WAA“, stand auf Transparenten. Die in Hochglanz gehaltene 85seitige Kurzbeschreibung fand bei den WAA-Gegnern Anklang. Im Landratsamt Schwandorf lag der Bericht bezeichnenderweise im Keller im „Stabraum der Katastropheneinsatzleitung“ aus.

„Der Bericht ist nicht einmal das Papier wert, auf dem er gedruckt ist“, kommentierte Klaus Pöhler von der Bürgerinitiative Schwandorf. Er sei zwar umfangreicher, aber keinsfalls besser als der erste von 1983, fügte Lothar Hahn vom Öko-Institut Darmstadt hinzu. So würden zweijährige Meßreihen zur metereologischen Begutachtung herangezogen. Die Störfallanalysen enthielten eine völlig willkürliche Auswahl von Störfällen. Hahn bezeichnete die WAA als „unnötigstes Großprojekt der deutschen Industriegeschichte“. Die Beantragung der zweiten TEG sei eine „Kriegserklärung an die Bevölkerung.“

Mit „Hau ab“-Rufen wurde Bayerns Umweltminister Alfred Dick in Schwandorf begrüßt. Er bekräftigte auf einer Pressekonferenz die nationale Bedeutung der WAA für die Entsorgung „Im Sinne des Baufortschritts“ sei es notwendig gewesen, die weiteren Verfahrensschritte fortzuführen. Damit erfülle die bayrische Staatsregierung ihre Pflicht. Die Nutzung der Kernenergie sei „auf absehbare Zeit unverzichtbar“.

„Jetzt heißt es, zur Sache Schätzchen“, so Dick, da man bei der zweiten TEG um eine atomrechtliches Verfahren nicht mehr herumkommen werde. Die am 26. Januar dieses Jahres von der DWK beantragten zweiten TEG umfasse vor allem die Errichtung des Hauptprozeßgebäudes sowie Systeme der Infrastruktur.

Die Bürgerinitiativen vor Ort rechnen mit etwa 100.000 Einwendungen gegen den Sicherheitsbericht. „Die Einwendungen sollen zur Volksabstimmung gegen die WAA werden“, gab sich Klaus Brückner von der BI Schwandorf optimistisch. Luitgart Koch/Bernd Siegler