I N T E R V I E W „Wenn einer ständig schikaniert wird“

■ Don Askarjan, armenischer Filmemacher aus Karabach, lebt heute in Berlin

taz: Du lebst in Berlin, bist aber in Stepanakert (Karabach) aufgewachsen. Wie war dort dein Verhältnis zu den Aserbeidschanern? Askarjan: Noch in den sechziger Jahren gab es in der Stadt kaum Aserbeidschaner. Das war zu 100 Prozent eine armenische Stadt. Ich ging dann nach Moskau, um dort zu studieren, und ich bemerkte, daß jedes Jahr, wenn ich dorthin zurückkam, mehr Polizisten Aserbeidschaner waren. Aserbeidschaner wurden künstlich angesiedelt, immer mehr Armenier wanderten hingegen aus. Intellektuelle und Künstler haben keine Möglichkeiten in Karabach. Die Künstler sind in der Sowjetunion alle in Verbänden organisiert, und ein Verband entscheidet darüber, ob eine Ausstellung stattfindet oder ein Buch verlegt wird. Ein armenischer Künstler aus Karabach hat in einem aserbeidschanischen Verband keine Chance, und in einem armenischen Verband kann er nicht Mitglied werden, da er in Karabach gemeldet ist. Worin macht es sich denn sonst bemerkbar, daß Karabach nicht zu Armenien gehört? Zum Beispiel die Straßenverbindung von Stepanakert nach Yerewan: Statt den alten di rekten Weg auszubauen, hat man eine neue Straße gebaut, die in einem riesigen Umweg mitten durch Aserbeidschan führt. Das soll die Bevölkerung von Karabach möglichst weit von der armenischen Bevölkerung trennen. Hat deine Familie Verwandte in Yerewan? Jeder Armenier aus Karabach hat Verwandte in der Republik Armenien. Die Diskriminierung ist der Grund dafür, daß so viele auswandern. Zum Beispiel hatten die Karabacher jahrzehntelang keine Gasleitung, obwohl es in Baku sehr viel Erdgas gibt. Die Gasleitungen reichten nur bis kurz vor die Grenzen von Karabach. Dasselbe gilt für die Zugverbindungen. Jahrzehntelang mußten Karabacher, wenn sie den Zug nehmen wollten, zur nächsten aserbeidschanischen Ortschaft fahren, weil die Gleise nicht bis Karabach führten. Man konnte auch in ganz Karabach kein Kind taufen, weil es keine einzige funktionierende Kirche gab. Man mußte für die Taufe nach Etchmiadsin in Armenien fahren. Die wunderbaren alten Kirchen sah man verfallen, armenische Kirchhöfe wurden geschändet... Bis heute kann man in Karabach auch kein armenisches Fernsehen empfangen: Ein Programm auf Russisch kommt aus Moskau, das andere aus Baku ist in aserbeidschanischer Sprache. Gibt es im Alltag Spannungen zwischen Aserbeidschanern und Armeniern? Es gibt natürlich eine gewisse Spannung zwischen den beiden Gruppen. Die beruhen jedoch auf der Diskriminierung der Armenier. Wenn einer ständig schikaniert wird, kann er natürlich auf die Idee kommen, sich zu rächen. Dann kann das in Zusammenstößen von Gruppen eskalieren. Das Schlimmste ist für mich dabei, daß die aserbeidschanische Regierung zu kriminellen Methoden greift. Sie will den Karabachern Angst einjagen, damit sie ihren Mund halten, und zweitens Gorbatschow Angst einjagen, nach dem Motto: Wenn du Karabach Armenien anschließt, wird hier Blut fließen. Denn wenn es wirklich die weitgehende Autonomie gibt, die Gorbatschow will, dann haben die Aserbeidschaner nach demokratischen Regeln und nach der sowjetischen Verfassung keinen Grund, das zu verweigern. Das Interview führte Antje Bauer