Forschen statt handeln

Der größte Umschlagplatz in Europa für den internationalen Frauenhandel ist die BRD. Doch die staatliche Maßnahmen gegen das wachsende, mafios organisierte Geschäft strebten bislang gegen Null. Auch ein Blick in die europäischen Nachbarländer zeigt, daß dort das Geschäft weitgehend ungehindert floriert. Eine positive Ausnahme machen allein die Niederlande. Dort hat das Thema - nicht zuletzt dank engagierter Frauengruppen - inzwischen so viel öffentliche Aufmerksamkeit erregt, daß der Gesetzgeber sich zu härteren Gegenmaßnahmen bemüßigt fühlte. So gibt es seit April 1987 in Den Haag die „Stichting tegen Vrouwenhandel“ (Stiftung gegen Frauenhandel), ein Kontakt– und Beratungszentrum für betroffene Frauen, das vom niederländischen Sozial– und Familienministerium als Modellprojekt für vorläufig drei Jahre finanziert wird. Außerdem stimmte das niederländische Parlament jüngst verschie denen Maßnahmen und Gesetzesänderungen zu, die die Verfolgung von Menschenhändlern erleichtern und den Opfern mehr Schutz bieten sollen. Zunächst wurde der Begriff „Menschenhandel“ neu definiert. Demnach spielt es zum Beispiel keine Rolle mehr, ob die Frauen schon vorher Prostituierte waren. Auch muß nicht notwendigerweise Gewaltanwendung nachgewiesen werden. Wenn die Frauen irregeführt oder einem besonders starken Abhängigkeitsverhältnis unterworfen waren, reicht das für eine Verurteilung aus. Außerdem wurde die Mindeststrafe für Menschenhandel von fünf auf sechs Jahre erhöht. Dadurch können Verdächtige in Untersuchungshaft genommen werden und sich nicht so einfach durch Abtauchen der Strafverfolgung entziehen. Den größten Erfolg erzielte die Bewegung gegen Frauenhandel in den Niederlanden jedoch hinsichtlich des Aufenthaltsrechts. Illegale Frauen sollen ermuntert werden, Anzeige gegen die Händler zu erstatten. Zumindest erhalten sie dann bis zu Prozeßende eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis. Danach soll im Einzelfall entschieden werden, ob einer betroffenen Frau die Rückkehr in ihr Heimatland überhaupt zugemutet werden kann. Ein entsprechender Entschließungsantrag wurde Ende Februar vom Parlament angenommen. Im Januar 1988 konnte eine Indonesierin zum erstenmal nach einem Prozeß eine permanente Aufenthaltserlaubnis erstreiten. In der BRD sind vergleichbare Maßnahmen auf absehbare Zeit kaum zu erwarten. Razzien und schärfere Grenzkontrollen treffen in erster Linie die Frauen, die Händler schlüpfen nach wie vor durchs Netz. Die Bundesregierung hat zwar in der Zwischenzeit einen „Handlungsbedarf“ entdeckt, doch überstürzt werden soll nichts. Zunächst will das Familienministerium in einem mehrjährigen „Forschungsvorhaben“ eine „Bestandsaufnahme“ des Problems machen lassen. Kostenpunkt: 500.000 DM. Daneben will der Bund ein „Modellvorhaben“ unterstützen. Gemeint ist das „Fraueninformationszentrum“ FIZ in Stuttgart, eine Beratungsstelle für ausländische Frauen, die im Oktober 1987 als Modellprojekt eingerichtet wurde. Träger ist der kirchliche „Verein für internationale Jugendarbeit“, das baden–württembergische Sozialministerium schießt finanziell zu. Das Bundesfamilienministerium hat seine Unterstützung an eine „wissenschaftliche Begleitstudie“ geknüpft. Von der versprochenen Million aus Bundesmitteln hat das FIZ, das mit 2 1/2 Stellen den vielen ratsuchenden Frauen kaum gerecht werden kann, bisher jedoch noch keine Mark gesehen. Kein Geld vom Bund bekam bisher AGISRA (Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung). Der gemeinnützige Verein unterhält seit April 1987 eine Beratungsstelle für ausländische Frauen in Frankfurt und verschiedene Regionalgruppen im ganzen Bundesgebiet. Die Arbeit wird weitgehend ehrenamtlich geleistet. Das Bundesfamilienministerium will AGISRA nun mit einer siebenmonatigen Studie in sein „Forschungsvorhaben“ miteinbeziehen. Ulrike Helwerth