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Surf–Versuche auf Lafontaines Welle

■ Lösungsvorschläge mit Eigennutz–Effekt für das aktuelle Problem Nummer Eins haben Hochkonjunktur / SPD–Spitzenpolitiker auf der Suche nach einem neuen Wahlvolk / Auch Arbeitgeber dürfen jetzt opfern

Von Georgia Tornow

Berlin (taz) - Feiertage sind der ideale Zeitpunkt zum Schwätzchen über die Arbeit. Den dritten Sonntag klumpten sich gestern die politischen Fensterreden um die von dem saarländischen Ministerpräsidenten und stellvertretenden SPD–Vorsitzenden Oskar Lafontaine provozierte Diskussion über Arbeitszeitverkürzungen ohne vollen Lohnausgleich als Beitrag zur Schaffung neuer Stellen und damit zur Verringerung der Arbeitslosigkeit. Während von Gewerkschaftsseite nach wie vor scharfe Angriffe gegen Lafontaines Vorschlag und seine faktische Einmischung in die ÖTV–Tarifrunde laufen, signalisieren Politiker aus allen Parteien Zustimmung, mit unterschiedlichem Geschick in der Beherrschung der Surf–Technik auf der Welle der Arbeitslosigkeit. Zum zentralen Ereignis der Debatte entwickelt sich mittlerweile die Auseinandersetzung in der SPD zwischen dem Gewerk schaftslager und in den Startlöchern zu höheren Rängen hockenden Spitzenpolitikern aus verschiedenen Bundesländern. Nachdem der Parteivorsitzende Hans Jochen Vogel selber eine salomonische Stellungnahme abgegeben hat, in der er Genugtuung darüber ausdrückt, daß das Thema Arbeitslosigkeit endlich einen breiten Raum in der öffentlichen Diskussion einnimmt, wird am heutigen Montag der Parteivorstand das Thema Arbeitszeitverkürzung diskutieren. Erwartet werden heftige Auseinandersetzungen. Bereits am Freitag hatten die großen Einzelgewerkschaften IG Metall, IG Chemie und ÖTV Vogel aufgefordert, „keine Beschlußlage des Parteivorstandes herbeizuführen“. Der Vorsitzende der IG Chemie, Herrmann Rappe, verlangte dagegen die Einberufung des Gewerkschaftsrates der Partei. Auf einer Kundgebung des DGB in Saarbrücken hatte am Samstag das Vorstandsmitglied der IG Metall, Siegfried Bleicher, Lafontaine „Liebeswerben um bürgerliche Wählerschichten“ vorgeworfen, das von den eigenen Stammwählern durchaus mit „Liebesentzug bestraft“ werden könne. Zwei Wochen nach seiner Initiative in Richtung auf ein gewerkschaftliches Notopfer hat Oskar Lafontaine bei einer Wahlkampfveranstaltung in Baden–Württemberg seine Forderung unterstrichen, die Besserverdienenden sollten einen Solidarbeitrag leisten. Allerdings dehnte er dies nun auch auf besserverdienende Unternehmer aus. Weitergehend als Lafontaine brachte nun auch der SPD–Politiker Hauff ein Modell ein, bei dem er die Hausaufgaben der Gewerkschaften macht. Er schlägt eine vollständige Änderung der Tarifverträge vor und will in ihnen in Zukunft auch die Lohnsumme einer Branche vereinbart haben. Wenn der darin festgeschriebene Verzicht auf Lohnzuwachs nicht für die Schaffung neuer Arbeitsplätze verwertet wird, sollen die Arbeitgeber Lohnnachzahlungen leisten müssen. Gerhard Schröder, SPD–Spitzenkandidat in Niedersachsen, äußerte in einem Rundfunkinterview, es müßten auch noch andere „Tabu–Themen der Gewerkschaften angeknackt werden“, etwa der Ladenschluß. Angesichts der Finanzprobleme bei der Bundesanstalt für Arbeit rechnete ihr Präsident Egon Franke vor, daß Lohnverzicht und Arbeitszeitverkürzung billiger seien, als die Unterstützung von Arbeitslosen. Arbeitgeberpräsident Klaus Murrmann ergriff die günstige Gelegenheit, um wieder für die Flexibilisierung der Arbeitszeit zu werben. Hinter dem Rücken der Kontrahenten in der ersten Reihe hat der stellvertretende DGB–Vorsitzende Gustav Fehrenbach (CDU) schon angekündigt, nach den Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst wären Spitzengespräche im Sinne einer konzertierten Aktion zum Thema Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich durchaus sinnvoll und denkbar. Allerdings müßten die Arbeitgeber ebenfalls bereit sein, Opfer zu bringen.

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