Führungsrotation in der SPÖ

■ Der Parteivorsitzende der SPÖ, Fred Sinowatz, ist von seinen Posten zurückgetreten / Sein Nachfolger wird Bundeskanzler Franz Vranitzky / Auch der Chef der SPÖ–Wien, Leopold Gratz, legte sein Amt nieder

Aus Wien Martina Kirgel

Kaum sind die österreichischen Gedenktage zum März 1938 vorbei, schon sorgen zwei Rücktritte aus der Parteispitze der SPÖ für neue Unruhe. Seit Monaten schon ist das Gefüge der großen Koalition SPÖ/ÖVP großen Belastungen ausgesetzt. Nicht nur der Konflikt um Bundespräsident Waldheim, auch mehrere große Skandale, die sich bis in höchste Regierungskreise ausgeweitet haben, lähmen derzeit die größte Partei Österreichs. Gestern kam es zu Rücktritten in der Parteispitze: SPÖ–Parteivorsitzender Fred Sinowatz und der Vorsitzende der SPÖ–Wien, Leopold Gratz, legen ihre Ämter nieder. Fred Sinowatz, seine Nachfolge an der Parteispitze wird Bundeskanzler Franz Vranitzky antreten, begründete seinen Rücktritt damit, daß es „Zeit für einen Wechsel an der Spitze“ geworden sei. Der Schritt habe nichts mit dem verlorenen Prozeß gegen den Profil–Journalisten Worm zu tun. Sinowatz hatte den Berichterstatter wegen übler Nachrede vor den Kadi beordert. Worm hatte publiziert, daß Sinowatz schon lange vor Bekanntwerden der Waldheim–Affäre von dessen „brauner Vergangenheit“ gesprochen habe und sie als Kalkül für den Wahlkampf benutzen wollte. In der ersten Instanz war Sinowatz der zweifachen Lüge für schuldig befunden worden. Es wird erwartet, daß der Richter im Berufungsverfahren am 25. April zum selben Schluß gelangen wird: Freispruch für den Journalisten. Auch in der Noricum–Waffenaffäre seien die Beschuldigungen „völlig haltlos“, betonte Sinowatz gestern: „Ich habe ein gutes Gewissen, in jeder Beziehung.“ Die staatliche Waffenfabrik Noricum hatte heimlich Geschütze an den Iran verkauft und damit gegen das österreichische Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen. Sinowatz, Gratz und andere Politiker sollen über diese Machenschaften informiert gewesen sein. Aus parteiinternen Kreisen verlautet, daß Leopold Graz zur Aufgabe seines Postens gedrängt worden sei. Sein potentieller Nachfolger, Vizebürgermeister Hans Mayr, deutete in einem Interview an, daß Gratz die Freundschaft zu Udo Proksch, dem Hauptverdächtigen in der Lucona–Affäre, geschadet habe. Allerdings betonte Mayr gleichzeitig, daß Gratz nichts mit der Lucona– Affäre zu tun habe. Das Frachtschiff Lucona versank vor elf Jahren mit sechs Matrosen und angeblich einer Uranerzmühle an Bord im Indischen Ozean. Seit langem besteht der Verdacht, daß in Wirklichkeit Schrott geladen war und der Besitzer Udo Proksch das Schiff in die Luft sprengen ließ, um die gigantische Versicherungssumme zu kassieren. Gratz hatte aus Rumänien falsche Papiere für die Ladung beschafft. Der personelle Wechsel an der Spitze der SPÖ wird in Wien als Signal an die ÖVP zur Stabilisierung der großen Koalition gewertet. In den vergangenen Monaten hat es immer wieder Gerüchte über Neuwahlen oder eine kleine Koalition ÖVP/FPÖ gegeben. Das Franz Vranitzky, ein Mann des Wirtschaftsflügels der SPÖ, jetzt die Parteiführung übernimmt, obwohl er bislang stets auf eine strenge Ämtertrennung bestanden hat, garantiert eine gute Zusammenarbeit mit der ÖVP.