Neue Drohgebärden gegen Nicaragua

■ Zum zweitenmal warfen Kampfflieger aus Honduras ihre Bomben / Reagan setzt Contra–Gegner unter Druck

Während am heutigen Montag in der nicaraguanischen Stadt Sapoa die Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der nicaraguanischen Regierung und der Contra fortgesetzt werden sollen, herrscht im Grenzgebiet zu Honduras weiterhin Spannung. Zum zweitenmal innerhalb von drei Tagen haben am Samstag Flugzeuge von Honduras aus Stützpunkte der Sandinisten bombardiert. Gleichzeitig wurden am Wochenende drei US–Bataillone näher an die nicaraguanische Grenze verlegt.

Am Wochenende vor den heute beginnenden Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der nicaraguanischen Regierung und der Contra hat sich die Lage im Grenzgebiet zu Honduras erneut zugespitzt. Am Samstag mittag haben zwei Kampfflugzeuge amerikanischen Ursprungs in der Nähe des nicaraguanischen Städtchens San Andres de Bocay erneut Stellungen der Sandinisten bombardiert. Die Flugzeuge flogen acht Kilometer tief in nicaraguanisches Territorium hinein und warfen insgesamt vier Bomben ab, die jedoch nach Angaben nicaraguanischer Armeesprecher keinen Schaden anrichteten. Die nicaraguanische Luftabwehr habe die Kampfflieger zum Abdrehen zwingen können. US–amerikanische Beobachter räumten am Wochenende ein, daß die Contra in der letzten Woche schwere Niederlagen erlitten hätte, sie sei aber noch nicht „vernichtet“. Während Nicaragua am Wochenende die Großoffensive ge gen die Contra für vorerst abgeschlossen erklärt hat, kamen aus Honduras und den USA neue Drohungen: Drei Bataillone der 3.200 frisch eingeflogenen US–Soldaten wurden Samstag nacht noch näher an die Grenze verlegt. Nach der offiziellen Version sollen sie bis zu 40 Kilometern von der Grenze entfernt an „Routineübungen“ mit der honduranischen Armee teilnehmen. Honduras Präsident Azcona wollte am Samstag nicht ausschließen, daß die eingeflogenen US–Elitesoldaten auch in Kämpfe eingreifen werden, „wenn die Aggression zunimmt und wir diese Soldaten im Einsatz brauchen“. Wenn sich die US–amerikanischen Truppen mehr als 40 Kilometer dem nicaraguanischen Territorium nähern sollten, so wird Nicaragua seine Teilnahme an den für heute angesetzten Waffenstillstandsverhandlungen in Frage stellen. Staatspräsident Ortega hat am Samstag angekündigt, daß Nicaragua wegen dieser Drohungen Azconas und der erneuten Bombardierungen Klage vor dem Internationalen Gerichtshof einreichen wird. Auf Antrag Nicaraguas werden die Vereinten Nationen eine vierköpfige Delegation in das Grenzgebiet zwischen Nicaragua und Honduras schicken, um zu prüfen, was wirklich dort geschieht. Alltag trotz Kriegssituation Trotz der militärischen Zuspitzung in der Grenzregion entspannte sich am Wochenende die Stimmung in Nicaraguas Hauptstadt Managua, in der mittlerweile gut ein Viertel der Bevölkerung des Landes lebt. Um acht Uhr morgens am Samstag überraschte der nicaraguanische Staatschef Daniel Ortega mit einer erneuten Ansprache an die Bevölkerung, worin er angesichts der Manöver der US– amerikanischen Truppen in Honduras zwar weiterhin zu Wachsamkeit und Mobilisierung aufrief, aber gleichzeitig das angeordnete einheitliche Programm für alle nicaraguanischen Rundfunksender aufhob. Seit Mittwoch morgen lief auf allen Sendern ein einheitliches Programm, in dem die neuesten Meldungen von upi, afp und ap aus Washington und Tegucigalpa verlesen und interpretiert wurden, untermischt mit einer musikalischen Rückbesinnung auf die Anfangszeiten der sandinistischen Revolution mit Liedern von Norma Elena Gadea, den Godoy–Brüdern und Silvio Rodriguez. Nach großen Demonstrationen in verschiedenen Städten Nicaraguas wie in Leon mit 30.000 Teilnehmern, riefen am Samstag die Wohnviertelkomitees (CDS), deren Bedeutung in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen war, dazu auf, am Samstag abend zu Diskussionen im Stadtteil zusammenzukommen, um über konkrete Schutzmaßnahmen bei einem eventuellen US–Angriff zu beraten. Denn die Gräben und Schutzräume zum Beispiel, die vor drei Jahren bei der letzten großen „Interventionsgefahr“ zum Schutz vor Bombenangriffen in fast allen Stadtteilen ausgehoben worden waren, sind längst mit Müll zugekippt. Obwohl sich die nicaraguanische Regierung offensichtlich bemüht, die Situation militärisch nicht eskalieren zu lassen, wurde die Bevölkerung aufgefordert, sich weiter im Alarmzustand zu halten. Währenddessen ließ das oppositionelle Gewerkschaftsbündnis eine für den Sonntag angekündigte „Großdemonstration“ in Masaya ausfallen. „Auf Wunsch von Cardenal Obando y Bravo, in dieser Situation nicht zu provozieren“, wie es in der Erklärung der Gewerkschaften heißt. Gedämpfte Zuversicht für Verhandlungen Am Samstag morgen hatten die Gewerkschafter auf einer Pressekonferenz noch erklärt, sie würden die Demonstration wegen der Morddrohungen von Daniel Ortega gegen die Gewerkschafter möglicherweise absagen müssen, um ein Blutvergießen zu verhindern. Für den Sonntag abend rief die FSLN zu einer großen Nachtwache entlang der Straße nach Masaya auf, um dort die Regierungsdelegation, die sich nach Sapoa zu den Verhandlungen mit der Contra begibt, zu verabschieden. Trotz der Vorfälle der letzten Tage besteht bei internationalen Beobachtern der Eindruck, als seien sowohl die Regierungsdelegation, die zum erstenmal mit Verteidigungsminister Humberto Ortega antritt, als auch die Contra diesmal zu Verhandlungen bereit. Eva von Hase–Mihalik/ve