Atomraketen zu Liegestühlen!

■ Nach dem Abzug der sowjetischen Mittelstreckenraketen aus der DDR wird ein Stationierungsort zum Ferienzentrum umgebaut / Wo einst sowjetische, atomare Sprengköpfe lagerten, entsteht jetzt ein Abenteuerspielplatz

Aus Waren/DDR Vera Gaserow

Die Idee ist medienwirksam und klingt so gut, daß sie von der DDR– Friedensbewegung stammen könnte. „Atomraketen zu Liegestühlen“, könnte das Motto für das Projekt heißen, das die DDR–Regierung am Mittwoch der internationalen Öffentlichkeit mit einem Festakt präsentierte: Im idyllischen Waren in Neubrandenburg soll aus dem ehemaligen Stationierungsort der SS–12–Raketen ein Ferienzentrum werden.Unter militärischem Zeremoniell fand die symbolische Schlüsselübergabe statt, das Militärgelände mitsamt seinen Kasernen wurde dem größten Urlaubsorganisator der DDR, dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) übergeben. „Hiermit wird deutlich“, so heißt das im offiziellen DDR–Jargon, „wie im Sozialismus Abrüstung den Menschen und ihrem Wohlergehen unmittelbar zugute kommt.“ Zum praktischen Anschauungsunterricht für die östliche Abrüstungsbereitschaft wurde am Mittwoch ein Konvoi aus zwei Reisebussen und mehreren PKWs, bestückt mit JournalistInnen aus aller Welt, auf die Reise nach Waren geschickt. Dort, in einem der größten Feriengebiet der DDR, wenige Kilometer vom Müritzsee entfernt, mitten im Landschaftschutzgebiet, liegt das „Objekt Waren“, wie der ehemalige Stationierungsort der atomaren Mittelstreckenraketen im DDR– Sprachgebrauch verschämt heißt. „Objekt Waren“, das ist - eingezäunt mit Sperrgebietsschildern - ein baum– und strauchloses, zugiges Gelände, auf dem scheinbar wahllos hingestreute fünfstöckige Wohnblocks und Lagergebäude stehen. In der sogenannten „Wohnzone“, in der bis zum 13. März die sowjetische Soldaten kaserniert waren, wird das neue FDGB–Ferienheim entstehen. Schon im August sollen die ersten 300 Familien in den ehemaligen Offizierswohnungen Urlaub machen. Bis zum nächsten Jahr hofft man, hier an die 1.000 Gäste gleichzeitig unterbringen zu können - zum subventionierten Billigpreis von 120 Mark für einen 13tägigen Aufenthalt. Noch allerdings herrscht in Waren eher militärische Disziplin als Urlaubsstimmung. Stabschefmäßig erläutert Oberst Heinz von der NVA den Journalisten die einzelnen „Zonen“ des „Objekts“ - dort der Abenteuerspielplatz, da Vergnügen wie Disco und Spiel, hier der Versorgungsstützpunkt. Abgegrenzt für die Urlauber werden die - freundlich–neutral „technische Zone“ genannten ehemaligen militärischen Anlagen bleiben, zu der auch zwei unter Erdwällen nur notdürftig verborgene Bunker gehören. In diesen tunnelförmigen Bunkern - hinter dicken Stahltüren und x–fachem Stacheldraht - war das „Arsenal des Schreckens“ gelagert, die atomaren Sprengköpfe für die SS–12– Raketen. Besenrein wie eine Ferienwohnung hat die sowjetische Raketenbrigade auch diese immer noch gespenstisch wirkenden Räume verlassen. Was aus ihnen einmal werden soll, wenn die ersten Feriengäste in Waren ihre Liegestühle aufstellen, ist bis heute unklar. Fest steht nur, daß man den gesamten militärischen Komplex mitsamt seinen Atombunkern nicht abreißen will, sondern zu „nicht–militärischen Lagerzwecken“ verwenden wird. Warens Bügermeister versichert jedenfalls, die Feriengäste würden „optimale Urlaubsbedingungen“ vorfinden, wenn „das Objekt Waren erst zum Ferienobjekt geworden ist“. Ob sich das Subjekt Feriengast bei soviel „Objekt“ wohlfühlen wird und ob die leerstehenden, aber immer noch unheimlichen Bunker nicht doch ängstliche Gefühle wecken könnten, fragen einige Journalisten vorsichtig an. Nein, das glaube man nicht, „denn was gibt es Schö neres, als daß ein solches Objekt einem sozialen Zweck zugeführt wird?“ Außerdem: Ferienplätze seien immer noch knapp in der DDR. Doch mit frohgemuter, keinen Widerspruch duldender Stimme versichert eine junge Frau den Festgästen per Mikrofon, daß „heute ein schöner Tag“ ist. Die „Friedenssaat“ sei endlich aufgegangen. Als sie dann jedoch mit pathetischer Inbrust erklärt: „Ich bin glücklich, diesen Staat meine Heimat nennen zu dürfen“, da sind sich manche Journalisten nicht mehr so sicher, ob es nur der kalte Wind ist, der ihnen so frostig den Rücken herunterläuft.