I N T E R V I E W Pille oder Brot

■ Ingeborg Simon, kritische Apothekerin und Vertrauensfrau der ÖTV zur Gesundheits“Reform“

taz: Nach den Ärzten und den Taxifahrern wollen morgen auch die Apotheker gegen die Blümschen Sparpläne im Gesundheitswesen demonstrieren. Ingeborg Simon: Natürlich werden nicht „die“ Apotheker demonstrieren, sondern in erster Linie diejenigen, die sich als Unternehmer begreifen und ganz vehement wirtschaftliche Interessen vertreten. In deren Aufrufen spielt die Arzneimittelsicherheit für Patienten überhaupt keine Rolle, sondern es geht nur um die eigenen Pfründe. Aber gäbe es denn im Arzneimittelbereich außer Lobby–Interessen keine guten Gründe, gegen die Blümschen Vorschläge auf die Straße zu gehen? Natürlich gibt es gerade in diesem Bereich triftige Gründe. Es ist allgemein bekannt, daß der Anteil an Arzneimittelausgaben bei der gesetzlichen Krankenversicherung mit einer Größenordnung von 18 Milliarden jährlich überzogen ist. Allein im letzten Jahr wurde ein Drittel dieses Geldes für Arzneimittel ausgegeben, die nachweislich unwirksam oder therapeutisch umstritten sind. Wenn ich das weiß, müßte doch mit einem Gesetz dafür gesorgt werden, daß genau diese unsinnigen Ausgaben wegfallen. Diese Möglichkeit wird aber in dem Gesetzentwurf nicht richtig genutzt. Die Gewerkschaften und die Krankenkassen fordern deshalb seit langem Positivlisten für Arzneimittel. Darin werden nur die Arzneimittel aufgenommen, die das Wirksamkeitsgebot erfüllen und unter den vergleichbaren Präparaten die billigsten sind. Aber auch der Blümsche Entwurf soll doch festlegen, daß die Kassen nur noch für das billigste unter vergleichbaren Präparaten bezahlen. So klar verlangt der Gesetzentwurf das gar nicht. Von der Idee her ist es richtig zu sagen: Bei identischen Medikamenten bitte das billigste. Nur was passiert? Wenn der Arzt das billigste verschreibt, dann ist es gut, dann zahlt der Patient nichts dazu. Nur wenn der Arzt es nicht tut, weil er das teure Mittel besser kennt, es schon immer verordnet hat und gestern gerade der entsprechende Pharmavertreter da war, dann kann ihn keiner dazu zwingen. Und dann muß der Patient die Differenz bezahlen. Der Patient kann doch gar nicht beurteilen, ob das teure Medikament wirklich das bessere ist oder ob das billigere nicht auch genügt. Der kann dann entscheiden: Kauf ich mir ein Brot oder ne Pille? Das ist eine indirekte Beitragserhöhung, und zwar für die wirklich Kranken, für die Alten, die chronisch Kranken und die Behinderten. Das geht für mich in Richtung Amerikanisierung unseres Gesundheitswesens. Was müßte deiner Meinung nach im Arzneimittelbereich getan werden? Langfristig müßte erst einmal unser Arzneimittelmarkt gründlich bereinigt werden. Wir haben rund 70.000 Arzneimittel auf dem Markt. Ich denke, wir würden mit 1.000 auskommen. Es gibt ja auch schon große Krankenhäuser, in denen Ärzte und Apotheker gemeinsame Empfehlungslisten aufstellen, und umfassen nicht mehr als 1.000 bis 2.000 Präparate. Eine zweite Forderung wären Preisverhandlungen mit der pharmazeutischen Industrie. Langfristig müßte die Arzneimittelgesetzgebung geändert werden mit der ganz klaren Forderung, daß nur noch Arzneimittel auf den Markt kommen, die therapeutisch sinnvoll sind, und die nur ergänzt werden um Präparate, die einen Fortschritt gegenüber den vorhandenen darstellen. Es gibt Gutachten, eigens vom Arbeitsminister angefordert, die sprechen von 50 Prozent möglichen Einsparungen im Arzneimittelbereich. Aber die schmoren dort in der Schublade, Blüm will an diese Einsparmöglichkeit nicht ran, weil er damit der Pharmaindustrie gewaltig auf die Füße treten würde. Interview: Vera Gaserow