: Der Wolf Le Pen hat Kreide gefressen
■ Der französische Präsidentschaftswahlkampf geht nach Mitterands erneuter Kandidatur in die spannende Endphase / Ein Blick auf die Taktik des rechtsradikalen Präsidentschaftskandidaten Jean–Marie Le Pen im lothringischen Metz
Aus Metz Georg Blume
Mitterrand kann der beste Kandidat sein - allein entscheidet er nichts. Im französischen Wahlkampf rudern Rechte und Linke gleich, ihr Steuermann aber heißt Jean–Marie Le Pen. Seine Wähler werden den neuen französischen Präsidenten bestimmen - wahrscheinlich Mitterrand. Am Freitag ist er in Metz. 4.000 Franzosen, bunt gemischt, alt und jung, warten im vollbesetzten Sportpalast auf den Auftritt ihres Idols. Die Gesichter sind gezeichnet von Einsamkeit im Alter, von Arbeitslosigkeit und Zukunftsangst. Diese Menschen, denen man auch auf dem nächsten Schützenfest der Stadt begegnen könnte, sind nicht zum Lachen hergekommen. Endlich aber verklären sich die Blicke, schon ist der Saal erfüllt vom Gefangenen– Chor aus Verdis Nabucco - das ist das Zeichen: Le Pen tritt auf. Fast war er in Vergessenheit geraten. Als seine Äußerungen über den deutschen Völkermord an den Juden im vergangenen Jahr alle empörten, glaubten die Kommentatoren, er habe politischen Selbstmord begangen. Die darauffolgenden Auftritte in Radio und Fernsehen erregten nicht mehr das übliche Aufsehen, schließlich fiel Le Pen in den Umfragen auf etwa acht Prozent der Wählerstimmen zurück. Ungeachtet dessen aber begab sich der Präsidentschaftskandidat auf Wahlkampftournee - noch vor allen anderen. Er zog von Stadt zu Stadt, ließ keine Provinz aus, füllte Feuerwehrzelte und Kongreßhallen. Ich hatte ihn in Marseille gesehen, vor einem Jahr: brüllend, ketzerisch und aggressiv. Inzwischen hat der Wolf Kreide gefressen. In Metz gibt Le Pen eine blau–weiß–rote One–Man–Show, wie sie auf keinem Bildschirm besser läuft. Seine Vorredner predi gen von der Kanzel. Er aber steht locker auf der Bühne, die Hand in der Hosentasche, geht auf und ab und spricht - zwei Stunden lang, ohne ein Glas Wasser, ohne Pause. Er ist Frankreichs bester Redner und weiß den Zeitgeist zu nutzen: Lieber Unterhaltung als Politik. Zehn bis zwölf Prozent der Stimmen kann er beim ersten Wahlgang am 24. April erwarten. Le Pen war sich seiner Rolle nie so sicher, und er dankt es auch heute noch Mitterrand. Mitterrand hat die Kommunisten verdrängt und die Linke regierungsfähig gemacht, schreiben die Historiker. „Mitterrand, Barre, Chirac, wie können sie morgen das tun, was sie gestern weder machen wollten noch konnten?“ fragt Le Pen in Metz. Einer KPF auf dem absteigenden Ast gegenüber kann sich der Rechtsradikale als die einzige glaubwürdige Alternative zur herkömmlichen Politik präsentieren, und viele Franzosen glauben ihm das. Nicht das Versagen einer Rechtsregierung war in Frankreich der Auslöser für die Erfolge Le Pens, sondern die Harmonisierung der politischen Landschaft insgesamt - Mitterrands Werk. Hierzu gehörte auch die Einführung des Verhältniswahlrechtes durch die Sozialisten 1986, die Le Pen den Einzug in die Nationalversammlung verschaffte und damit die großen Mittelblöcke zusammenrücken ließ. Inzwischen hat die Chirac–Regierung das Mehrheitswahlrecht wiederhergestellt, und die Front National würde bei den nächsten Wahlen ihre Fraktion verlieren. Nur ein Präsident Mitterrand könnte diese politische Katastrophe mit einem neuen Wahlgesetz verhindern. Damit ist bereits genug angedeutet über eine eventuelle Wahlaussage Le Pens nach dem ersten Wahlgang für oder gegen einen der großen Kandidaten. „Ich werde mich für einen Kandidaten nur unter der Bedingung aussprechen, daß dieser einige Forderungen der Front National berück sichtigt“, sagt Le Pen in Metz. Soweit aber werden weder Mitterrand noch Barre oder Chirac gehen. Und Mitterrand kann ruhig schlafen. Le Pen–Wähler kommen von rechts und links, im zweiten Wahlgang wählen sie nach allen Voraussagen entweder gar nicht oder verteilen ihre Stimmen gleichmäßig. Auch deshalb hält der Steuermann Le Pen das Ruder gerade. Für Mitterrand sollte das zum Sieg reichen - solange sich Le Pen nicht bedingungslos für Chirac oder Barre aussprechen will. In Metz ist Le Pen davon weit entfernt. Hier konnte sich seine Partei im bürgerlich–konservativen Lothringen eine Hochburg erobern. Im Departement von Metz, wo Gaullisten und Liberale allein 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, setzen die Rechtsradikalen, zusammengesetzt aus der Front National (12 Bauernpartei CNIP (8 Prozent drauf. In Metz zeigt Le Pen seine Stärke: Er kann hier gegen die Rechte ebenso wie gegen die Linke in Marseille oder Lille gewinnen. Erklärungen findet man am nächsten Morgen auf dem Marktplatz von Metz. Was hat sich seit 1981, seit Mitterrand, verändert, frage ich Passanten. „Nicht viel. Die Probleme sich die gleichen, wer auch immer an der Macht ist“, sagt ein Ingenieur. „Veränderung gibt es immer nur für die, die Geld haben“, meint ein Bauarbeiter. „Vielleicht gab es Modifikationen, aber ob sie realisiert wurden, daran kann man zweifeln“, erklärt ein gewerkschaftlich organisierter Lehrer. „Veränderung, davon erfährt man in der Armee nichts“, sagt ein Soldat. Der Ingenieur, der Bauarbeiter, der Lehrer und der Soldat, sie wählen trotzdem alle Mitterrand. Komisch nur: Am Abend zuvor, im vollbesetzten Sportpalast, gaben andere auf die gleiche Frage die gleichen Antworten.
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