Dromedare in Donau und Rhein

■ An der Hochwasserkatastrophe ist nicht nur der viele Regen schuld

Nach jeder Hochwasserkatastrophe beeilen sich die Verantwortlichen der Wasserwirtschaft zu versichern, die Hochwasserkatastrophen seien „nicht hausgemacht“. Verantwortlich seien vielmehr die ungewöhnlichen Niederschläge im gesamten westeuropäischen Raum. Tatsächlich gab es dieses Frühjahr wieder extreme Niederschläge. Beispielsweise war der März in Freudenstadt (Schwarzwald) mit über 500 l/m2 der niederschlagsreichste Monat seit Beginn der Niederschlagsmessungen vor 141 Jahren. Das insgesamt sehr nasse Frühjahr und der tagelange Regen im März führten zu einer fast vollständigen Durchnässung der Böden. Das Erdreich kann dann keinen Tropfen Wasser mehr aufnehmen. Die Regenmassen schießen über die Erdoberfläche direkt in die Bäche und Flüsse. Dieses Phänomen führte auch schon zu den beiden Hochwassern vom April und Mai 1983. Bei derart großflächigen und langandauernden Niederschlagsereignissen wie in diesem Frühjahr hat auch die Versiegelung des Erdbodens keinen meßbaren Einfluß mehr auf das Abfließen, die gesamte Erdoberfläche in den jeweiligen Flußeinzugsgebieten wirkt wie eine einzige betonierte Fläche. Parkplätze, Straßen, Dachflächen oder die durch Chemikalien immer undurchlässiger werdenden Böden in der Landwirtschaft (Bodenverdichtung) tun ein übriges. Dennoch: Wenn die Wasserwirtschaftsverwaltungen nur den vielen Regen für die Hochwasserfluten verantwortlich machen, greifen sie trotzdem zu kurz. Die Verminderung der Rückhalte– und Überflutungsräume (wie Altarme und Auen) sowie die Verkürzung der Flußläufe hat den Hochwasserwellen „zugearbeitet“. So haben die Rheinbegradigungen die Fließstrecke des Oberrheins um 72 km verkürzt. Zudem wurden die ursprünglich vorhandenen Überflutungsgebiete zwischen Basel und Karlsruhe um 90 Prozent reduziert. Das Ergebnis: Gegenüber der Jahrhundertflut an der Jahreswende 1882/83, als das Hochwasser noch vier Tage von Basel bis Worms brauchte, legt jetzt die um 30 Prozent höhere Flut den gleichen Weg in nur zweieinhalb Tagen zurück. Der Spitzenabfluß wird um 2.000 m3 pro Sekunde erhöht. Durch die Fließzeitverkürzung kommt es weiterhin zu zeitgleichen Flutwellen auf Neckar und Rhein. Und ähnlich zwischen Mosel und Rhein. „Früher“, so Ernst–Ludwig Raabe von der Wasser– und Schiffahrts–Direktion in Mainz, „folgten die beiden Flutwellen von Mosel und Rhein aufeinander wie die Höcker eines Kamels. Heute schieben sie sich zu einem einzigen, riesigen Höcker eines Dromedars zusammen. Die Rekordhochwasserstände von Koblenz und Köln sind eine Folge davon.“ Ähnliches läßt sich auch an der Donau beobachten. So verkürzte sich bei Hochwassern von 1.000 m3/Wasserabfluß pro Sekunde auf 25 km zwischen Ulm und Günzburg die mittlere Laufzeit von zehn Stunden im 19. Jahrhundert auf heute zwei. Damit wurden auch an der Donau die Hochwasserwellen steiler und höher. Mit dem Ausbau der bayerischen Donau zur sogenannten „Großschiffahrtsstraße“ von Regensburg bis Passau wird derzeit das größte Feuchtwiesen– und Auengebiet der BRD in eine Kette von Stauräumen umgewandelt. Auch dies wird nicht folgenlos für das Hochwassergeschehen bleiben. Durch die Waldvernichtung nimmt zudem das Rückhaltevermögen der Alpen alarmierend ab, so daß die jetzige Hochwasserkatastrophe an der Donau ein Vorbote für noch Schlimmeres sein dürfte. Nikolaus Geiler