„Eine Stimme für Jackson ist eine Stimme für Wechsel“

■ taz–Redakteur Michael Fischer sprach mit Bill Strickland, dem Wahlkampfleiter Jesse Jacksons für die Neu–England–Staaten im Nordosten der USA / Er begründet den Wahlerfolg des Präsidentschaftsbewerbers

taz: Habt ihr mit einem solch erfolgreichen Ausgang der Vorwahlen in Michigan für Jesse gerechnet? Bill: Seit 14 Tagen liegt Jesse vor Dukakis, doch die Medien haben dies erst nach den Vorwahlen in Michigan letztes Wochende anerkannt. Seit Beginn des Wahlkampfs versuchen das Demokratische Parteiestablishment, die großen Fernsehstationen und Zeitungen durch gezielte Falschinformationen die Wähler davon abzuhalten, für Jesse zu stimmen. Sie portraitieren Jesse als den schwarzen Kandidaten, der nicht gewinnen kann, für den zu stimmen es sich also auch nicht lohnt. Aber wie Jesses Erfolg im Industriestaat Michigan beweist, lassen sich die Wähler nicht beeinflußen. Sie stimmen für Jesse, nicht weil er der Kandidat der Partei oder der Presse ist, sondern weil er ihr Kandidat ist. Die Leute stimmen für Jesse, weil sie einen Kurswechsel wollen. Es ist eine Revolte, fast eine Revolution der amerikanischen Wähler. Die Hoffnung auf eine neue Politik ist stärker als rassische Resentiments, auf die die Me dien und der Parteiapparat spekulieren. Statt sich darum zu bemühen, den Rassismus in den USA abzuschaffen, bedienen sich die Parteistrategen dieser Tendenzen. Ihr eigener Rassismus hindert sie aber auch daran, die Bedeutung der schwarzen Wählerschaft gerade in südlichen Bundesstaaten richtig einzuschätzen, was uns zumindest in einem Fall geholfen hat. Anders als 1984 stimmen dieses Mal auch viele Weiße für Jesse. Woran liegt das? Das Ausmaß ist in der Tat überraschend. In Maine beispielsweise, wo weniger als ein Prozent Schwarze leben, bekam Dukakis 36 Prozent der Stimmen und Jesse 31 Prozent. In Michigan letztes Wochenende bekam er sogar 55 Prozent, obwohl dort nur 12 Prozent Schwarze sind. Das selbe gilt für die Vorwahlen in Connecticut, wo wir immerhin knapp 30 Prozent der Stimmen erhalten haben. Die Medien tun diese weißen Protestwähler als Pseuodoliberale ab, für die es gerade chic ist, sich radikal zu geben. In Wirklichkeit sind es aber Studenten, Farmer, Arbeiter, Leute aus der Mittelklasse, Schwule, Arbeitslose, Latinos, asiatische Einwanderer und Eskimos, Leute, die eine neue Politik brau chen, nachdem sie jahrelang von Reagans Regierung ignoriert wurden. Wer wird sich beim Demokratischen Parteitag im Juli in Atlanta letztendlich als Kandidat durchsetzen? Falls Jackson New York am 19.April gewinnen wird, danach Ohio und Indiana, dann ist er nicht mehr aufzuhalten. Jesse könnte es gelingen, mit 500 bis 600 Delegierten mehr als Dukakis zum Parteitag zu kommen. Dann würden auch die Superdelegierten Dukakis nicht mehr helfen. Deshalb werden die Parteistrategen versuchen, eine „Stopp Jesse–Kampagne“ zu initieren. Das Problem dabei ist, daß sie sich damit gegen die Entscheidung der Wähler wenden, was zu einem Wahlsieg der Republikaner im November führen würde. Sie werden sich entscheiden müssen, ob sie lieber die Kontrolle über die Partei behalten, aber dafür die Wahlen verlieren. Statt eine dritte Partei zu gründen, versucht die Regenbogen–Koalition die Demokratische Partei zu übernehmen und zu einer wirklichen Alternative zu auszubauen. Wie erfolgreich ist diese Strategie? Die Demokratische Partei kann die Repulikaner nicht mit einer Politik und einer Ideologie schlagen, die sich von der der Republikaner in nichts unterscheidet. Nur Jesse bietet eine klare Alternative zu Reagans Politik. Für die Demokraten wäre es wichtig zu verstehen, was Jesses Erfolge bedeuten. Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die bereit wären, sich der Partei anzuschließen. Aber bislang haben die Parteistrategen diese potentiellen Wähler ignoriert, während Jesse diese Leute angesprochen hat. Die Integration dieser Leute ist die eigentliche Herausforderung für die Demokratische Partei, nur mit ihnen kann sie die Republikaner besiegen. Doch dies wider spricht ihrem ideologischen Weltbild, das sie mit dem Parteiestablishment der republikanischen Partei gemeinsam haben: der Anti–Kommunismus. Darunter wird alles subsumiert, was amerikanischen Interessen zuwiderläuft, was die Vormachtstellung der USA in der Welt bedroht. Doch die Leute werden sich der daraus ergebenden Widersprüche zunehmend bewußt. Es ist einfach nicht einsichtig, warum Sanktionen gegen Südafrika sinnlos sind, aber in Panama den erwünschten Erfolg zeitigen sollen. Widerspricht diese Abhängigkeit von einem so wichtigen Führer nicht auch den Grundsätzen der US–amerikanischen Linken? Man kann die Geschichte nicht ignorieren. Die Geschichte hat Martin Luther King hervorgebracht, oder einen Reagan und nun Jesse. Außerdem ist Politik in den USA generell viel stärker auf Personen zugeschnitten. Traditionell besteht in den USA wenig Interesse an langfristigen und institutionalisierten Strukturen, um die Gesellschaft zu verändern. Politische Veränderung ist in den USA ein relativ neues Konzept. Wenn Amerika die beste aller Gesellschaftsformen hat, warum sollte man sie dann ändern? Doch der Mangel an politischer Moral, der durch Reagans Regierungszeit offensichtlich wurde, rüttelt an dieser Vorstellung. Die jetzige spirituelle und moralische Krise der US–Gesellschaft hat ein großes Verlangen nach Erneuerung produziert. Deshalb freue ich mich schon auf die Diskussion zwischen Bush und Jesse im Herbst, eine Dikussion zwischen der alten, gescheiterten Politik und neuen, aufregenden Ansätzen. Vielen Dank Bill.