Gehorsam kommt vor Rechtsschutz

■ OLG Karlsruhe: Rechtliche Tips bei Volkszählung sind rechtswidrig / Entscheidung des Amtsgerichts korrigiert

Heidelberg (taz) - Die Rekordbußgelder der Stadt Heidelberg im Zusammenhang mit der Volkszählung 87 gegen acht Mitglieder der Stadtratsfraktion der Grün– Alternativen Liste (GAL) sorgten damals bundesweit für Aufsehen. In einer Anzeige der Heidelberger Wochenzeitung Communale hatte die GAL–Fraktion empfohlen, bei der Volkszählung „bloß nichts zu überstürzen!“ „Es ist übrigens eine völlig legale Form des Widerstands, wenn Sie jetzt nicht ausfüllen, etwaige Mahnungen nicht beachten und gegen einen Heranziehungsbescheid klagen. Tips geben Ihnen die Volkszählungsinitiativen...“, hieß es erläuternd dazu. 6.000 DM sollte beispielsweise GAL–Chef Reinhard Bütikofer für diese Kleinanzeige berappen. Das sei, so die Stadt Heidelberg, eine Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten. Das Heidelberger Amtsgericht sprach den Gemeinderat von diesem Vorwurf am 4.9.87 frei. Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe wischte das erstinstanzliche Urteil jetzt wieder vom Tisch. Das vom Leser der Anzeige geforderte Verhalten sei rechtlich als eine „nach dem Unrechtstypus konkretisierte Ordnungswidrigkeit“ zu würdigen, entschied der 2.Senat des OLG. Denn zuerst entstünde die Verpflichtung des einzelnen zur Abgabe von Erklärungen gegenüber dem Staat, und diese erlange mit ihrer Bekanntgabe an den Bürger auch ihre „Wirksamkeit, es sei sie wäre nichtig“. Doch weil Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt in der Regel keine aufschiebende Wirkung hätten, müsse der Bürger erst einmal antworten. Üblicherweise sieht das Gesetz zwar eine Rechtsweggarantie vor, um so irreparable Entscheidungen soweit als möglich auszuschließen, erkennt auch das OLG. Doch „das Ziel einer Volkszählung, eine vollständige Erhebung als Informationsgrundlage für staatliche Entscheidungen zu erlangen, wäre ohne Ausschluß der aufschiebenden Wirkung gefährdet. Das überwiegende öffentliche Interesse rechtfertigt es, den Rechtsschutzanspruch des Bürgers einstweilen zurückzustellen“, heißt es in dem OLG–Beschluß. Erst komme die „Gehorsamspflicht“, dann der Rechtsschutz des Bürgers. Aus diesen Gründen sei deshalb auch die Annonce in der Communale zu sanktionieren. Das Amtsgericht Heidelberg muß jetzt erneut über diesen Fall beraten (Az.: 4Ss 214/87). Felix Kurz