Vobo–Zwang: Nur jeder fünfte Brief kommt an

■ 360 Bremer Briefträger laufen für „liberale Volkszählunglinie“ ihres Innensenators / 40.000 Zwangsgeldandrohungen verschickt, 80 Prozent kommen nicht an / Ersatzzustellung ausgeschlossen, ebenso wie eine Benachrichtigung des „nicht angetroffenen Empfängers“

Aus Bremen Klaus Schloesser

Haufenweise Arbeit im Wortsinne für Bremens Briefträger: 40.000 Din A4– Umschläge sollen die 360 Bremer Postzusteller in diesen Wochen zusätzlich an Frau und Mann bringen. Absender der mit je 5 Mark freigemachten und mit Volkszählungsbogen, Volkszählungsgesetz und Zwangsgeldandrohung über 200 Mark bestückten Kuverts mit dem Aufdruck „Postzustellungsauftrag“: das statistische Landesamt, zuständig für die Durchführung der Volkszählung in Bremen. 200.000 Mark allein an Portogebühren läßt sich Bremens Innensenator Bernd Meyer eine anscheinend letzte Drohgebärde gegenüber 40.000 mutmaßlichen VolkszählungsboykotteurInnen kosten. 200.000 Mark, die sich der Senator wahrscheinlich ebensogut hätte sparen können. Denn zumindest nach den Erfahrungen der Bremer Briefträger werden rund 80 Prozent der Empfänger nicht in den Lektüre–Genuß des angedrohten Zwangsgelds kommen. Vier von fünf Umschlägen schleppen die Briefträger unverrichteter Dinge wieder zurück in die Postämter. Mit dem Vermerk: „Empfänger nicht angetroffen“ auf der beiliegenden „Postzustellungsurkunde“ gehen sie von dort wieder zurück an den Absender. Ein weiterer Zustellversuch ist im Porto nicht inbegriffen, ebensowenig eine Benachrichtigung des „nicht angetroffenen Empfängers“ über den gescheiterten Zustellversuch. Bei der Bremer Oberpostdirektion hat man nur eine einzige Interpretation für den groß angelegten Kreisverkehr von Zwangsgelddrohungen: „Das Statistische Landesamt hat vor der Verschickungaktion unsere Kundenberatung nicht in Anspruch genommen. Sonst hätte man dort erfahren, daß nur die wenigsten Briefe auf diese Weise ihren Empfänger erreichen werden.“ Zumal die Statistiker den Briefträgern ein weiteres Hindernis bei der Erfüllung ihrer Amtspflichten in den Weg legten: „Ersatzzustellung ausgeschlossen“ steht ausdrücklich im Vertrag zwischen Post und Volkszählern. Im Klartext: Stellvertretend für die verreisten oder berufstätigen Empfänger dürfen weder NachbarInnen noch HauswirtInnen und LebensgefährtInnen die blauen Briefe der Behörde in Empfang nehmen. Auf diese Weise wollten die datenschutzbewußten StatistikerInnen angeb lich ausschließen, daß direkt nach dem Besuch des Briefträgers die ganze Nachbarschaft erfährt, wo im Haus die potentielle VolkszählungsboykotteurIn wohnt. Ebenso wahrscheinlich wie der gemütliche Dilettantismus in Sachen „Postzustellungswege“ ist allerdings eine andere Interpretation des teuren Zwangsgeldfehlschlags: Ihr zufolge laufen gegenwärtig 360 Bremer Briefträger für die „liberale Volkszählungslinie“ des Bremer Innensenators. Mit der kalkulierten Erfolglosigkeit seiner Postaktion hätte der Senator gleich zwei Fliegen mit einer Klapppe geschlagen: Einerseits wäre sein redliches Bemühen, auch die letzten 3,8 Prozent noch fehlender Bremer Daten publikumswirksam für die Amtskollegen in anderen Bundesländern unter Beweis gestellt. Andererseits käme der sozialdemokratische Senator elegant um die ungeliebte und politisch kaum durchsetzbare Verhängung und Betreibung von Zwangsgeldern herum. Denn wenn das statistische Landesamt in Bremen Ende April auf 30.000 amtlichen Postvermerken „Empfänger nicht angetroffen“ sitzen sollte, hätte der Senator nach Paragraph 11, Absatz 1 des Volkszählungsgesetzes die Möglichkeit, bei ihnen sogenannte „Ersatzvornahmen“ durchzuführen: Zwar fehlen ihre Daten, aber soviel hätte der Briefträger immerhin schriftlich dokumentiert: Auch wenn sie selten zuhause sind - sie leben und sie leben in Bremen. Genug, um im Rahmen einer weiteren Bremer Verfassungsklage 4.000 Mark pro Bremer Nase aus dem Länderfinanzausgleichstopf zu kassieren.