taz unterliegt gegen Neue Heimat

■ Bundesverfassungsgericht straft Aufruf der taz zum Mietboykott / Die taz hat ihren längsten und teuersten Prozeß verloren / Protest gegen Wohnungsbaupolitik hätte anders zum Ausdruck gebracht werden müssen

Berlin (taz) - Vor dem Bundesverfassungsgericht ist die taz nach einem langjährigen Prozeß gegen die Neue Heimat unterlegen. Die drei Richter des 1.Senats des Karlsruher Gerichts haben zwar auch der taz und einer ihrer Redakteurinnen grundsätzlich das Grundrecht auf Meinungs– und Pressefreiheit zugebilligt. Sie haben aber gleichzeitig entschieden, daß ein Boykottaufruf gegen ein Großunternehmen wie die Neue Heimat denn doch zu weit gehe: Der Protest gegen die Wohnungspolitik dieses Konzerns hätte mit anderen Mitteln als gerade mit einem Mietzahlungsboykott zum Ausdruck gebracht werden können. Angefangen hat der Prozeß schon im September 1981. Auf dem Höhepunkt der Hausbesetzerbewegung veröffentlichte eine taz–Redakteurin eine Anzeige „Mietboykott für Mieter der Neuen Heimat“, in der „aus Protest gegen die Wohnungspolitik der Neuen Heimat und angesichts der geräumten und verwüsteten Häuser“ die Mieter zur Zahlung einer Monatsmiete auf ein Sperr konto aufgefordert wurden. Einige Tage später veröffentlichte die taz dazu das Gutachten eines Rechtsanwalts und eine nähere Handlungsanweisung. Erfolg hatten Anzeige und Artikel nicht. Kein einziger zahlte eine Monatsmiete auf das Sperrkonto. Aber die Neue Heimat fühlte sich sehr bedroht. Sie zog vor den Kadi und verlangte, solche Aufrufe zu unterlassen. Doch die Neue Heimat verlor in der 1.Instanz. Das Landgericht erklärte die Meinungsfreiheit für so wichtig, daß dahinter die Rechte der Neuen Heimat zurücktreten müßten. Die nächste Instanz, das Kammergericht, sah das ganz anders. Unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 500.000 Mark verbot es der taz, die Mieter weiter zum Boykott aufzufordern. Das Recht auf freie Meinungsäußerung gestatte keine Verletzung wirksamer Verträge wie z.B. einen Mietvertragt. Die taz sah eine Prozeßkostenlawine auf sich zurollen und bat deshalb die LeserInnen um Spenden. Rund 5.000 Mark kamen zusammen. Der Prozeß mit seiner grundsätzlichen Bedeutung auch für andere Boykottaufforderungen konnte weitergeführt werden. Wieder obsiegte die taz vor dem Landgericht und verlor beim Kammergericht. 1984 landete das Verfahren dann in Karlsruhe beim Bundesgerichtshof. Die fünf hohen Herren vom VI.Senat meinten, die Auforderung in der taz zur kollektiven Verletzung der Mietverträge habe mit Meinungs– und Pressefreiheit nichts zu tun. Die Neue Heimat blieb wieder Sieger. Danach schlummerte das Verfahren zweieinhalb Jahre beim Bundesverfassungsgericht. In der jetzigen Entscheidung erteilten die Verfassungsrichter ihren Kollegen vom BGH zwar einen Rüffel, aber dennoch waren die taz und ihre Redakteurin wieder die Verlierer. Nach Meinung der Verfassungsrichter fällt der Aufruf zum Mietboykott in den Bereich geistiger Einwirkung auf die Öffentlichkeit und damit unter den Schutz des Grundrechts der Meinungsfreiheit. Aber nur unter ganz besonderen Umständen dürfe in wichtige Rechte eines Unternehmens wie der NH eingegriffen werden. Solche Umstände lägen aber hier nicht vor. Der Protest gegen die Wohnungspolitik der NH hätte anders als gerade durch einen Boykottaufruf zum Ausdruck gebracht werden können. Die Skandale der Wohnungspolitik der NH hatte sich bis Karlsruhe wohl so richtig noch nicht rumgesprochen. Der längste und teuerste Prozeß der taz–Geschichte war verloren (1 BV R 385/85). All das gespendete Geld ist draufgegangen. Die taz bedankt sich artig bei den SpenderInnen. Atrö.