Gesundheitsreform Der Patient zahlt

■ Koalition einigt sich bis auf wenige Punkte über die Gesundheitsreform / Blüm zufrieden / FDP erfolgreich

Aus Bonn Oliver Tolmein

„Die Mühe hat sich gelohnt.“ Bundesarbeitsminister Blüm war Sonntagvormittag bei der Vorstellung des am Freitag abend erarbeiteten Koalitionskompromisses zum Gesundheitsreformgesetz sichtlich zufrieden: „Der Ausuferung der Gesundheitswünsche ist damit Einhalt geboten.“ Das „Herzstück“ der Reform, die Blüm als 1.Stockwerk des weiter auszubauenden Hauses „Gesundheitswesen“ bezeichnete, sind seiner Meinung nach die Festbeträge bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln ab 1989. Danach zahlen die Kassen nur noch die Kosten für ein Medikament mittlerer Preiskategorie. Die FDP konnte sich aber auch mit ihrer Forderung nach einer Selbstbeteiligung der PatientInnen an Arzneimittelkosten durchsetzen. Bei „pharmakologisch–therapeu isch vergleichbaren Wirkstoffen“ und bei Medikamenten mit „pharmakologisch vergleichbaren“ Wirkprinzipien, bei denen Fortsetzung Seite 2 Kommentar Seite 4 sich der Bundesausschuß Ärzte/ Krankenkassen nicht auf Festbeträge einigen können, wird ab dem 1.1.1992 eine prozentuale Selbstbeteiligung, deren Höhe noch nicht feststeht, eingeführt werden. Während Bundesarbeitsminister Blüm keine Aussage darüber machen wollte, wieviele Arzneimittel unter diese Selbstbeteiligungsregelung fallen, vermutete der FDP–Sozialexperte Cronenberg, daß es sich dabei um 40 bis 50 Prozent handeln könne. Als FDP–Erfolg kann ebenfalls angesehen werden, daß beim Zahnersatz künftig das Kostenerstattungsprinzip eingeführt wird. Die PatientInnen müssen also erst selbst zahlen und bekommen später den auf 50 Prozent gesenkten Zuschuß zur Behandlung von der Krankenkasse ersetzt. Durchsetzen konnte sich die FDP auch mit ihrer Forderung, bei der Neuregelung der Pflegefinan zierung das Pflegegeld auf nur 400 Mark im Monat festzusetzen. Pflegebedürftige, die auf eine Geldleistung verzichten, wird von den Krankenkassen maximal 25 Stunden Pflege pro Monat als Sachleistung gewährt. Diese Regelung tritt 1991 in Kraft. Ab 1989 bekommen Pflegebedürftige, deren Pflegeperson in Urlaub fährt, für maximal vier Wochen eine Ersatzkraft gestellt. Norbert Blüm erklärte, diese neue Leistung der Krankenkassen müsse „vor ausufernder Inanspruchnahme“ geschützt werden. Deswegen soll der Kreis der anspruchsberechtigten Schwerpflegebedürftigen enger als der vergleichbare Personenkreis im Bundessozialhilfegesetz definiert werden. Außerdem soll der Grad der Pflegebedürftigkeit und des Anspruchs vom sozialmedizinischen Dienst und nicht von Hausärzten festgestellt werden. Einig wurde sich die Koalitionsrunde auch über die Daten– Kontrollregelungen: Alle Leistungserbringer sollen demnach den Krankenkassen ihre Abrechnungsunterlagen künftig maschinenlesbar zur Verfügung stellen. Auf den sogenannten Solidarbeitrag der Pharmaindustrie verzichtete Bundesarbeitsminister Blüm, weil die Arzneimittelhersteller durch die Festbetragsregelung schon ausreichend zur Kasse gebeten würden. Aufgrund des Widerstands von Franz Josef Strauß konnte eine Einigung über Sparmaßnahmen im Krankenhausbereich nicht erzielt werden. Blüm zeigte sich aber zuversichtlich, daß dieser Streitpunkt noch in dieser Woche beigelegt werde. Am 27. April wird seiner Meinung nach das Kabinett den Gesetzentwurf verabschieden, am 1.1.1989 soll das Gesetz dann in Kraft treten. Das Einsparvolumen nach Inkrafttreten aller Bestandteile schätzt Blüm auf 13,6 Milliarden Mark, die Neuregelung der Pflegefinanzierung wird dieser Rechnung zufolge sieben Milliarden Mark betragen. Knapp sechs Milliarden Mark sollen in Beitragssenkungen gesteckt werden, so daß 1991 der durchschnitt liche Beitrag der gesetzlichen Krankenversicherungen immer noch bei 12,1 Prozentpunkten läge. Heftige Kritik an dem Koalitionskompromiß gab es aus der SPD. Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs bezeichnete das Ergebnis der Einigung als „unmenschlich“. Sie kündigte an, ihre Partei werde „mit allen Mitteln“ gegen die Reform angehen. Gleichzeitig rief sie alle Parteien dazu auf, bei Strukturreformen intensiver zusammenzuarbeiten. Für die Grünen kritisierte die Abgeordnete Wilms–Kegel den Blüm–Entwurf als „Ausbürgerung der Alten, Kranken und Behinderten“.