Genetische Raubritter

■ Copyright–Ansprüche auf die Natur

Der Berg hat gekreißt und ein Mäuslein geboren. Das bedauerns–werte Tier, das nun als erstes patentierte Lebewesen in die Geschichte des unaufhaltsamen technischen Fortschritts eingehen soll, entwickelt schnell und zuverlässig Krebsgeschwüre. Da die wirkliche Natur so monokausal nicht funktioniert, schafft sich die moderne Naturwissenschaft künstliche Modelle ihres reduzierten Weltbildes. Billige „Lebend–Meßinstrumente“ wie diese Krebs–Mäuse, die unlängst entwickelte Aids–Maus, oder auch generell immungeschwächte Tiere bevölkern bereits seit längerem zu Tausenden die Labore. Sorgen machen sich Unternehmen und Wissenschaftler in diesem Zusammenhang nicht etwa wegen der erheblichen Risiken, die damit verbunden sind oder gar ob der ethischen Verwahrlosung, sondern um den Schutz ihres „intellektuellen Eigentums“. Wo kämen wir denn hin, wenn diese Früchte millionenschwerer Forschung ihren Urhebern kein Geld einbrächten? Der Durchbruch, den die Gen–Klempner unter dem Jubel von Industrie und Börse feiern, besteht darin, daß Lebewesen nunmehr vollkommen in die Welt der Waren und Produkte eingemeindet werden sollen. Nicht nur das einzelne Exemplar soll künftig als Ding gehandelt werden, auch die Erbinformationen sollen, sofern an ihnen herumgebastelt wurde, als menschliche Erfindung und ihre Reproduktion als menschliche Produktion gelten. Die Tatsache, daß Wissenschaftler von dem - darf man es noch in den Mund nehmen - Wunder der Natur gerade so viel verstehen, wie sie verändern können, die Tatsache, daß der Mensch Gott sei Dank nicht Leben schafft, sondern ihm nur seinen herrischen Stempel aufdrückt, wird um die Freiheit des Marktes und der Forschung willen rechtlich ins Gegenteil verkehrt. Dies führt dazu, daß die Vielfalt der Natur Stück für Stück, Gensequenz für Gensequenz, in Besitz genommen werden kann. Wenn die genetische Veränderung von Tieren und Pflanzen künftig exclusive Eigentumsrechte begründet, die Manipulation der DNA zum Schlüssel wird für copyright–Ansprüche auf eine zugerichtete, künstliche Natur, steht deren kommerziellem Durchbruch nichts mehr im Wege. Weltweit haben Banden von gentechnisch bewaffneten Raubrittern bereits den Kampf um diesen „Rohstoff des kommenden Jahrtausends“ aufgenommen. Agrar–, Chemie– und Öl–Multis arbeiten mit Hochdruck daran, nach den Prinzipien der Maximierung, Optimierung und Effektivierung ausgerichtete Lebensformen und -bedingungen zu schaffen, in denen künftig ohne ihre „Produkte“ und Erfindungen nichts mehr geht. Auch der Mensch wird in dieser Schönen Neuen Welt ohne den direkten oder indirekten Einsatz kommerzialisierter Gensequenzen nicht mehr überleben können. Die Beherrschung der Natur, auf der Ebene der genetischen Information festgeschrieben und zum Gegenstand privater Verfügungsgewalt erklärt, wird zu einer neuen Form der Herrschaft des Menschen über den Menschen. Die Macht erhält eine neue Geschmackskomponente. Wenn der bereits verdächtig therapeutisch klingende Begriff „Naturschutz“ je eine Berechtigung hatte, dann bedeutet er, daß wir uns mit allen noch nicht lizenzpflichtigen Gliedmaßen gegen diese Privatisierung der Natur zur Wehr setzen müssen. Benny Härlin