Neuer Lehrplan für Schleswig–Holstein

■ Interview mit Björn Engholm, Spitzenkandidat der schleswig–holsteinischen SPD zur Landtagswahl am 8.Mai / Engholm verspricht viel: die absolute Mehrheit und eine geistig–moralische Wende sozialdemokratischer Art / Gegen „geistige Syndikalisierung“ und für einen langfristigen Ausstieg aus der Atomkraft

taz:Ihre Erfahrungen in der Exekutive datieren in die Zeit der sozialliberalen Koalition. Welche Erfahrungen des damaligen Bildungsministers wird der künftige Ministerpräsident in die Landespolitik einbringen? Björn Engholm: Wir haben damals Modellversuche gemacht, von deren Inhalten eine ganze Menge in die Landespolitik übernommen werden kann. Und zwar? Vor allem die Beantwortung der Frage, auf welches Menschenbild hin wir die Jugendlichen erziehen. Momentan gibt es im Schulalltag eine zunehmende ökonomische Verengung der Lehr– und Lerninhalte. Von Jahr zu Jahr wird höher bewertet: Was ist verkäuflich auf dem Arbeitsmarkt? Die Verzahnung von Ökonomie und Bildung bringt eine Überbewertung von Kenntnissen, Fähig– und Fertigkeiten. Was zu kurz kommt, sind Phantasie, Neugier, Sensibilität und soziales Verhalten. Sozialdemokratische Überzeugung war es ja gewesen, soziale Ungerechtigkeiten der Bildungschancen durch den Staat kompensieren zu können. Das waren auch die Mängel oder Begrenzungen der damaligen Bildungsreformpolitik. Wir haben uns zu 70 Prozent auf Formfragen gestürzt, auf Organisation. Es wurde bei uns viel zu wenig über die mittel– und langfristigen Ziele der Erziehung gesprochen. Verstehen Sie sich noch als Protagonist der Gesamtschule? Ich verstehe mich als Protagonist des Elternwillens. Weder meine Kultusbürokratie noch ich behaupten zu wissen, was für Kinder gut ist. Das müssen die Eltern entscheiden. Das schließt nicht aus, daß wir neue Angebote machen - etwa Gesamtschulen. Aber das ersetzt nicht die Frage: Was passiert in diesen Schulen? Was in den Schulen passiert, ist schwerlich per Gesetz zu regeln, sie können nicht den Lehrkörper austauschen. Das wird wohl ein prinzipielles Problem: Wie sieht sozialdemokratische Regierungspolitik aus, die von einem schwarzen Apparat umgesetzt werden soll? Erlösung für schwarzen Filz Es gibt eine Reihe von Mitarbeitern, die nicht nur parteipolitisch gebunden sind, sondern die auch als Überzeugungstäter aufgetreten sind. Solche haben wir vor allem in den höheren Etagen. Gegen die laufen disziplinarische Verfahren - aber eben nur in wenigen Einzelfällen. Bei einer ganzen Reihe von Beamten wird es ein großes Aufatmen darüber geben, daß der Druck von oben weg ist. Der war selbst auf CDU–Beamte so stark, daß sich auch einige von denen andere Bedingungen wünschen. Die wurden ja nur gedeckelt, nicht gefordert. Kommt in Schleswig–Holstein nach der schwarzen Ämterpatronage nun der rote Filz? Darüber werden wir in zwölf Jahren reden. So lange wird es dauern, bis man an einigen Stellen sichtbar andere Personalentscheidungen getroffen hat. Sie setzen also auf eine biologische Veränderung. Ich rechne auch damit, daß manche Veränderungen im Bewußtsein der Akteure in der Verwaltung stattfinden. Die wissen: Der neue Dienstherr hat ihre Loyalität einzuklagen. Und er wird es auch tun. Außerdem werden wir freiwerdende Stellen künftig nach anderen Kriterien besetzen, das dauert seine Zeit. Das erste Kriterium heißt: Bringt er was Erfrischendes? Denkt er über den Tellerrand? Wenn er dann auch noch ein sozialdemokratisches Parteibuch hat, dann muß auch der mal gefördert werden. Ihre Wähler blicken über den Tellerrand und wissen, es gibt in anderen Ländern einen roten Filz. Und wie! Die müssen mir einen Vertrauensvorschuß geben, daß es anders wird. Oskar Lafontaine ist jetzt zwei Jahre im Amt, und man kann wohl kaum davon sprechen, daß es jetzt im Saarland einen riesigen roten Filz gibt. Sie wollen die Ministerien nun mit parlamentarischen Staatssekretären bestücken. Nur zur Hälfte. Und die mit einer klaren Aufgaben–Zuweisung. Damit nehmen Sie der SPD– Fraktion die besten Leute. Da bleibt dann nur noch Mittelmaß. Die SPD Schleswig–Holstein wird es der Landesregierung nicht leicht machen. Und die Fraktion ist im nichtkonventionellen Sinne links - sehr eigenwillig und widerborstig. Der Geist von Jochen Weht da wieder der Geist von Jochen Steffen? Der Geist von Steffen ist noch in vielen Köpfen, oder besser Herzen, drin. Und bei Ihnen? Sie vertreten eine andere Parteivision als er. Steffen hatte mehr marxistische Wurzeln als ich. Was aber sein Menschenbild angeht und seine analytischen Gedanken, die sind heute auch bei mir und vielen anderen vorhanden, und ohne die kommt man gar nicht aus. Die Fraktion wird vielleicht auf den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie beharren. Wie wollen Sie das eigentlich anstellen? Der lange Marsch zum Ausstieg Wir müssen detaillierte Sicherheitsüberprüfungen vornehmen, mit ganz anderen Leuten als denen, die bisher zuständig waren. Und wir müssen uns völlig neu der Frage der Entsorgung zuwenden und das juristisch begründen - auf der Basis des Atomgesetzes. Denn das schreibt die gesicherte Entsorgung für die Genehmigung vor. Wenn das so läuft, wie wir denken, dann wird der zuständige Minister Günther Jansen 1990 den Widerrufsbescheid formuliert haben und den Betreibern ins Haus schicken. Jansen, der ja auch ihr Parteichef ist, hat mehrfach erklärt, daß die AKWs schon 1990 stillstehen sollen. Auch Jansen ging immer davon aus, bis 1990 die nötigen Unterla gen für den juristischen Weg zusammen zu haben. Und dann beginnt, das weiß der Günther auch, ein langwieriger Prozeß. Die politische Mehrheit im Land entscheidet nicht über den Ausstieg. Es gibt noch andere rechtliche Bindungen. Das SPD–regierte Lübeck - Ihre Heimatstadt - hat vor kurzem einen 20–Jahres–Vertrag mit der PREAG abgeschlossen, der ihr für diese Zeit zu 90 Prozent Atomstrom beschert. Ausstieg ade. Die spinnen, die Lübecker Das war eine der schlimmsten und kontraproduktivsten Entscheidungen. Dabei sind die Motive nicht einmal pro Kernenergie gewesen. Sondern? Die haben die Tragweite dessen, was sie tun, offenbar nicht begriffen. Was wir auf Parteitagen beschlossen haben, hat augenscheinlich nicht überall das Bewußtsein sozialdemokratischer Kommunalpolitiker erreicht. Die haben in Lübeck ja nicht einmal die Zusage über den Bau eines neuen Kohlekraftwerkes eingeholt. Das wäre doch das Mindeste gewesen... Und jetzt? Mal sehen, ob es juristisch eine Möglichkeit gibt, da wieder rauszukommen. Allzu optimistisch bin ich aber nicht. In Sachen Giftmülldeponie Schönberg/DDR erscheinen die Lübecker Sozis etwas heller. Fortan mit Hilfe aus Kiel? Wir werden alles versuchen, den Transport von Giftmüll durch Schleswig–Holstein zu unterbinden. Haben Sie das schon Klaus von Dohnanyi erzählt? Der kennt das. Wir wollen aber Zwang ausüben auf alle, die lustig weiter Sondermüll produzieren. Wo immer es geht, machen wir die Grenzen dicht. APO in den Staat Falls nicht - steht der Bürger Engholm dann wieder demonstrierend auf der Straße? Ja - oder sein Innenminister. Aber für solche Fälle habe ich mir überlegt, ob man nicht eine institutionelle Schiene von außerparlamentarischer Bewegung in den Regierungsbereich hinein eröffnet. Wozu? Es muß Möglichkeiten geben, Konflikte zwar nicht wegzudrücken, aber in ihren Ausuferungen zu minimieren. In der Vergangenheit hat die SPD bei den ersten Konflikten dann immer wieder den Staat her ausgekehrt. Es gibt auch andere Entwicklungen. Dohnanyi hat das doch mit der Hafenstraße - toi,toi, toi - optimal hinbekommen. Es geht darum, daß wir lernen können und werden, anders miteinander um zugehen. Ich schaffe in diesem Land eine andere Begegnungskultur, eröffne einen geistigen Dialog mit Menschen, die auch diametral anders denken als ich. So kommt es zur Reduktion auf Dinge, die man nicht anders austragen kann als durch Demonstrationen. Politische Mehrheiten brauchen Sie auch im Parlament - eventuell mit der FDP. Im sozialliberalen Modell Hamburg regieren faktisch nur noch die Freidemokraten. Wie wollen Sie denn mit denen fertig werden? Woher kann der republikanische Geist wehen? Falls ich einen Koalitionspartner brauchen sollte - ich möchte ihn nicht brauchen müssen - sieht die Situation schwieriger aus als in Hamburg. Die hiesige FDP tendiert viel stärker zu Lambsdorff und Bangemann als zu Ingo von Münch, Liberalität findet man da kaum noch. Falls der Wahlausgang eine sozialliberale Regierung auf die Tagesordnung setzt, wird ein Parteitag das Ding hin– und herwälzen und mir die Entscheidung vorgeben. Sie appellieren an den republi kanischen Geist und gründen Ihre Hoffnung darauf. Barschel stürzte aber nicht über den republikanischen Geist, sondern über sich selber. Woher nehmen Sie die Hoffnung auf einen Demokratisierungsschub? Barschels Sturz sehe ich differenzierter. Es waren letztlich die Erfolge der SPD, die ihn zu seinen Maßnahmen gedrängt haben. Und zum Demokratisierungsschub: Es gibt in diesem Land eine ganz verquere Freiheitstradition. Viele Generationen haben schon einmal mit Mistgabeln gegen Fürsten gekämpft, gegen Fremdherrschaft von draußen, gegen Dänen und Preußen. Meine Hoffnung ist, das politisch zu gestalten und Orte zu schaffen, wo man anfängt, zu diskutieren. Die Bundesrepublik ist ohnehin arm an politischen Auseinandersetzungen, an übergreifendem Dialog. Das gilt auch für Ihre Partei... ..ja... ..das Diskussionsdefizit, die alte Schwierigkeit mit den Intellektuellen... ..jaja... ..oder jetzt mit dem Lafontaine–Vorstoß. Da halten Sie sich auch ganz schön zurück. Engholm als Vordenker von Lafontaine Ich habe bereits vor sechs oder sieben Jahren auf einer ganzen Zeit– Seite Berechnungsmodelle gemacht, wie das praktisch aussehen könnte, was Lafontaine jetzt für den staatlichen Bereich vorgeschlagen hat. Dann tragen Sie Lafontaines Bundesratsinitiative mit? Ja. Es dürfen aber keine kurzfristigen Fronten aufgerissen werden zwischen Gewerkschaft und SPD. Dann nämlich wäre eins der noch vorhandenen Reformbündnisse kaputt. Ich will keinen Bruderzwist. Um die Frontenstellung kommen Sie nicht herum. Nein, solche Konflikte müssen ausgetragen werden. Es gibt sowohl bei Sozialdemokraten als auch bei Gewerkschaften ausgesprochene Traditionalisten. Die können ihre Augen aber nicht vor Entwicklungen dieser Zeit und vor anderen Lebensauffassungen verschließen. Zum Beispiel? Man muß darüber diskutieren können, daß es Erwerbsarbeit nicht nur im klassisch industriellen Sinne geben wird. Es ist sinnlos, wenn mir ein Gewerkschafter vorhält, ich würde die Arbeiterschaft vergessen. 20 Prozent der Menschen haben eine völlig andere Vorstellung von Arbeit. Insofern ist Lafontaines Denkanstoß wichtig und muß eines Tages auch in das Programm der SPD eingehen. Lafontaines Vorstoß hat auch gezeigt, daß die Auseinandersetzung um gesellschaftliche Veränderungen alte Parteischemata transzendieren. Kann das einen Kick für die parlamentarische Praxis geben, etwa in der Aufhebung des Fraktionszwanges? Der politische Entscheidungsbereich ist vielleicht nicht der erste, mit dem man das Aufheben von Fraktionierung beginnen sollte. Aber der Grundgedanke ist richtig: Wir müssen die schleichende Syndikalisierung, vor allem die geistige Syndikalisierung aufheben. Heute schmoren alle in ihrem eigenen Saft, da finden nur noch Konfirmandenstunden für die schon Konfirmierten statt - auch bei uns. Aber das muß von unten her aufgebrochen werden. Der Basispolitiker Engholm auf der Suche nach der Basis? Ich bin kein Basispolitiker, bin als Parlamentarier groß geworden. Aber: Das Repräsentative allein reicht nicht mehr, es ist auch nicht mehr fruchtbar. Das ist der Punkt. Während des ganzen Interviews haben wir Sie als Ministerpräsident in spe gefragt, und Sie haben als Ministerpräsident in spe geantwortet. Zweckoptimismus? Oder sind Ihre Erfolgserwartungen in den letzten Wochen gestiegen? Ich denke, daß ich Ihnen als Björn Engholm geantwortet habe. Die Erfolgserwartung in meiner Partei ist so groß wie sicherlich nie zuvor. Dennoch müssen wir uns vor einer Stimmung hüten, die alles schon für gelaufen erklärt. Biß brauchen wir bis zum letzten Tag. Erwarten Sie noch, daß das vom CDU–Kandidaten Heiko Hoffmann versprochene „neue Denken“ bei den Wählern Anklang findet? In der Tat ist zu beobachten, daß Heiko Hoffmann von sehr vielen Menschen eher als der Herausforderer denn als der Verteidiger einer Regierungsposition gesehen wird. Ich nehme ihm ab, daß er als einer der wenigen wirklich begriffen hat, was in dieser unsäglichen Affäre passiert ist, aber daß er ein neues Gesicht der Politik repräsentieren soll, kann im Ernst niemand behaupten. Interview: Klaus Hartung / Axel Kintzinger