Für die Rehabilitierung der Opfer der Moskauer Prozesse!

■ Die Resolution geht heute der Sowjet–Botschaft zu

Mehr als 50 Jahre sind seit dem Beginn der Moskauer Schauprozesse vergangen. Es ist erstaunlich, daß zu einer Zeit, in der die Regierung der UdSSR sich bemüht, ihrer Besorgnis um die „Menschenrechte“ Ausdruck zu geben, und die Notwendigkeit von „Glasnost“ (Offenheit) betont, die Angeklagten in diesem Verfahren von wenigen Ausnahmen abgesehen immer noch der bezahlten Agententätigkeit für den Faschismus und anderer Verbrechen für schuldig gehalten werden. Unter diesen Menschen befanden sich mehrere, die in der russischen Revolution von 1917 eine herausragende Rolle gespielt haben. Das Ansehen von Begründern des Sowjetstaates wie Sinowjew, Radek, Trotzki und Bucharin wurde besudelt, ihre Namen wurden aus den Geschichtsbüchern getilgt. Heute zweifelt niemand daran, daß die „Geständnisse“, die einzige Grundlage für die Anklage, nichts mit der Wahrheit zu tun hatten. Sieben Angeklagte im dritten Prozeß, Krestinski und andere, sind sowohl juristisch rehabilitiert als auch politisch entlastet worden. (Das gilt auch für die militärischen Führer, Tuchatschewski und andere, deren Militärgerichtsverfahren 1937 durchgeführt wurde.) Aber die anerkanntermaßen falschen Aussagen gegen diese Männer waren nicht zu trennen von den Anschuldigungen gegen alle anderen Angeklagten. Natürlich lebt heute keiner der Angeklagten mehr. Viele wurden unmittelbar nach den Prozessen hingerichtet. Andere kamen im Gefängnis oder im Lager ums Leben. Leo Trotzki, der Hauptangeklagte in allen drei Prozessen, wurde 1940 im Exil ermordet. Jedoch leben Familien einiger der Angeklagten noch in der Sowjetunion. Manche von ihnen wurden ebenfalls eingesperrt oder des Landes verwiesen. Es lohnt sich, daran zu erinnern, daß eine Überprüfung all dieser Fälle von Chruschtschow zugesagt, dieses Versprechen aber nicht gehalten wurde. Wir Unterzeichner fordern deshalb die Regierung der UdSSR auf, die Verfahren all dieser Opfer der Rechtsbeugung in der Sowjetunion, wie das auch bei Krestinski geschah, neu aufzurollen. Wir sind überzeugt, daß dadurch die Unschuld aller Angeklagten der Prozesse von 1936–38 bestätigt werden wird. Sie müssen umgehend rehabilitiert, ihre Ehre muß wiederhergestellt werden. Ihre Familien müssen entschädigt und ihre Gräber gekennzeichnet werden. ErstunterzeichnerInnen aus der Bundesrepublik u.a.: Prof. Dr. Elmar Altvater; Wolf Biermann; Joachim Bischoff, Hg. d. Zeitschrift Sozialismus; Manfred Bissinger, Hg. d. Zeitschrift Natur; Freimut Duve, MdB SPD; Thomas Ebermann, MdB Die Grünen; Uschi Eid, MdB Die Grünen; Prof. Dr. Iring Fetscher; Osspi K. Flechtheim; Konrad Gilges, MdB SPD; Petra Kelly, MdB Die Grünen; Prof. Dr. Leo Kofler; Lew Kopelew; Jakob Moneta, ehem. Chefredakteur d. Zeitung Metall; Helmut Lippelt, MdB Die Grünen; Wolf–Dieter Narr, Komitee für Grundrechte und Demokratie; Prof. Dr. Oskar Negt; Dr. Peter von Oertzen, Parteivorstand SPD; Peter Sellin, MdB Die Grünen; Dr. Walter Süß; Karsten D. Voigt, MdB SPD; Günter Wallraff; Prof. Dr. Herman Weber; Winfried Wolf, Chefredakteur Sozialistische Zeitung; Dr. Ulrich Briefs, MdB Die Grünen. Stand: 21.4.1988