Ausweise und Pässe bald von Bertelsmann?

■ Streik in der Bundesdruckerei hält die paßlose, aber urlaubsentschlossene Nation in Atem / Dienstherr Schwarz–Schilling rollt in Berlin an und droht mit Privatisierung / Pässe sollen länger gelten / Innenministerkonferenz berät über Ausweisschlamassel

Berlin (ap/taz) - Die seit Mittwoch streikenden 600 Angestellten der Bundesdruckerei und ihre sich solidarisierenden Kollegen haben es auch gestern geschafft: die Politikerschaft rotiert. Denn bei dem Streik der rund 3.000 Beschäftigten geht es zwar einerseits um einen tariflichen Hauszuschlag der Angestellten, andererseits aber um die Identität der Nation bzw. um den fälschungssicheren Nachweis derselben - sprich: um die Personalausweise und Reisepässe, für deren Herstellung die Bundesdruckerei das Monopol hat. Gestern schlossen sich gerade aus dem Bereich Ausweisherstellung noch mehr Kollegen der Streikfront an, so daß kein Dokument mehr über die Druckrollen lief. Mit einem gellenden Pfeifkonzert hatten die Streikenden gestern früh ihren obersten Dienstherrn, Postminister Schwarz–Schilling, begrüßt, der zu einem schon lang geplanten Besuch der Bundesdruckerei angereist kam. „Wie ein Dieb“, so einer der Streikposten, hatte der Minister sich durch einen Seiteneingang in die Druckerei geschlichen. Nach einer Stunde rauschte er unter dem Gejohle der Beschäftigten mit seiner Dienstlimousine ab, ohne ein Wort mit den Streikenden und deren Betriebs– und Personalrat gewechselt zu haben. Auf einer später anberaumten Pressekonferenz hatte Schwarz– Schilling den 3.000 Beschäftigten unverholen mit einer Teilstillegung der Bundesdruckerei gedroht. „Das bisher nur von der Bundesdruckerei ausgeübte Privileg, Pässe herzustellen, ist mit dem Streik praktisch außer Kraft gesetzt worden.“ Künftig müsse damit gerechnet werden, daß Pässe in privaten Druckereien hergestellt würden, verkündete der für Privatisierungspläne bekannte Minister. Die Androhung des Auftragsentzugs halten Beschäftigte der Bundesdruckerei für ziemlichen Unsinn. Denn für die Produktion der Ausweise würden hochwertige Spezialmaschinen gebraucht, die sich Privatunternehmen nur mit Milliardeninvestitionen leisten könnten. Der Berliner Vorsitzende der Deutschen Postgewerkschaft, die für die Angestellten der Bundesdruckerei zuständig ist, warf dem Postminister ein „gestörtes Verhältnis zum grundgesetzlich garantierten Streikrecht“ vor. Wenn es jetzt bei der Ausweisproduktion zu Staus komme, liege das an Planungsfehlern des Innen– und Postministeriums und an der mangelnden Verhandlungsbereitschaft Schwarz–Schillings. Neben dem Bundespostminister sannen gestern die Innenminister von Bund und Ländern auf ihrer Frühjahrskonferenz in Celle darüber, wie sie aus dem Ausweisschlamassel rauskommen. Sprecher der CDU/CSU und der FDP erklärten gestern ihre Zustimmung zu Zimmermanns Vorschlag, die alten Reisepässe gegen eine Gebühr von fünf Mark noch einmal zu verlängern, was jedoch nach Meinung von Experten gegen das geltende Paßgesetz verstoßen würde. Nordrhein–Westfalens Innenminister Schnoor hatte schon eine Anweisung an die Gemeinden gegeben, ab sofort alle ablaufenden Reisepässe durch einen Stempel bis Ende 1992 zu verlängern. Sollten sich die Innenminister auf ein solches Verfahren einigen, hätten die Beschäftigten der Bundesdruckerei mit ihrem Streik u.a. genau das erreicht, was man Gegnern der maschinenlesbaren Ausweise verweigert hatte: eine Ausweisverlängerung. Vera Gaserow