„Ich wollte immer eine Femme fatale sein“

■ Portrait der marokkanischen Feministin, Schriftstellerin, Soziologin Fatima Mernissi

Nach mehreren Studienjahren in Paris und in den USA lebt Fatima Mernissi heute wieder in Rabat. Im modernen, wohlhabenden Stadtteil Agdal. Ihre Wohnung im 5stöckigen Appartementhaus ist über und über mit Blumen zugestellt. Die Blumen wachsen bis in die große, helle Wohnung hinein, die arabische Wohntradition mit europäischen Annehmlichkeiten verbindet. Teppiche und Sitzkissen, Graphiken und Gemälde von modernen marokkanischen Künstlern, Freunden und Bekannten von Fatima Mernissi. Sie liebt den Plausch im FreundInnen–Kreis. Während unseres Gesprächs greift sie meine Fehler im Französischen lachend auf und dreht neue Worte mit schrägen Assoziationen daraus. Fatima Mernissi wurde 1940 in Fes geboren, als Kind einer bürgerlichen Familie. „Ich wollte immer eine Femme fatale sein, aber es klappte nie. Ich redete zuviel. Die Femme fatale muß schweigen und den Männern ihre Projektionen ermöglichen.“ Aber das haßt sie. „Einen Freund verließ ich einmal, weil er mit dauernd Vorhaltungen wegen meiner Brille machte. Ich sollte keine Gebrechen zeigen. Ich merkte, daß ich für ihn nur ein Möbelstück im Hause sein würde.“ Damals war sie 26 Jahre alt, Studentin der politischen Wissenschaften in Rabat. Heute trägt sie Kontaktlinsen, ist Professorin, unverheiratet und allein lebend im ganzen Land als Publizistin bekannt, die für die Emanzipation der Frauen eintritt. „Inzwischen gibt es in Marokko viele selbstständige Frauen wie mich, vielleicht nicht in meinem Alter, aber viele jüngere.“ Kann Fatima Mernissi als Professorin mit all ihren Privilegien überhaupt die Pro bleme der Mehrheit der marokkanischen Frauen verstehen? „Du meinst, warum eine Frau wie ich, die jederzeit ins Ausland reisen kann, wohin sie will, nach Europa, nach Japan, warum eine solche Frau dermaßen vom Schicksal der Frauen berührt ist, die sehr arm sind? Weil ich mir sehr stark bewußt bin, daß mein Leben eine enorme Chance für mich ist, mehr noch, mein Leben ist im Grunde irreal im Vergleich zu demjenigen, das mir eigentlich vorbestimmt war.“ Sie arbeitet mit Frauengruppen zusammen, wird zu Vorträgen eingeladen, aber in erster Linie will sie schreiben. „Für mich ist Schreiben das Wichtigste. In welcher Sprache, ist mir dabei egal. Ich bin sehr zufrieden, fremde Sprachen zu beherrschen. Ich empfinde dies nicht als einen Verrat, wie häufig gesagt wird, sondern als eine Emanzipation. Ich bin eine traditionell aufgewachsene Frau. Wenn ich arabisch spreche, trete ich in eine andere ideologische Welt ein, als wenn ich französisch spreche: in eine Welt mit einer sehr viel schärferen Geschlechter–Hierarchie, in der ich als Frau keine Rechte habe.“ Bei der Übersetzung des Buches „Geschlecht, Ideologie, Islam“ ist diese Differenz bedeutsam geworden. „In diesem Buch habe ich ja versucht, die Logik des Codes, der die Sexualität in den islamischen Ländern regelt, zu entschlüsseln. Wenn ich ihn kritisiere, wenn ich die religiösen Regeln als veränderbar hinstelle, komme ich in Konflikt mit der Auffassung, daß diese Regeln gottgewollt, also nicht von Menschen diskutierbar sind, schon gar nicht von einer Frau.“ „Aber ich will hier im Land bleiben, hier arbeiten. Ich habe gelernt, zu argumentieren, ohne Widerstand zu mobilisieren. Und ich will keine Probleme haben. Ich bin ein sehr pazifistischer Mensch, auch sehr hedonistisch. Um schreiben zu können, brauche ich Komfort, es muß ruhig sein, ich brauche Harmonie, ich brauche Menschen in meiner Umgebung, die mich lieben. Ich bin kein Heldin, im Gegenteil.“ Fatima Mernissis neuestes Buch, „Le Harem politique“, eine zugespitzte Auseinandersetzung mit den islamischen Lehrmeinungen über die Rolle der Frau sowie deren Widersprüchlichkeiten und „Herr“schaftscharakter, wurde in Marokko kurz nach dem Erscheinen - auf französisch - verboten. An eine arabische Übersetzung ist gar nicht zu denken. In Deutschland gibt es übrigens auch noch keine VerlegerIn. Thomas Hartmann