In der Lenin–Werft wird nun doch verhandelt

■ Die Streikenden lehnen das Angebot der Werftleitung ab und fordern weiterhin die Zulassung von Solidarnosc / Es kommt zu Festnahmen und Verhaftungen im ganzen Land / Erste Gefängnisstrafen nach Schnellgerichtsverfahren / Auch in Nowa Huta wird noch gestreikt

Warschau (afp/rtr/ap/dpa/taz) Auf der Lenin–Werft in Gdansk kam bis Sonntagnachmittag keine Einigung zustande. Die auf dem Gelände noch verbliebenen etwa 1.000 Arbeiter lehnten am Samstag ein Angebot der Werftleitung ab. Wie das Streikkomitee mitteilte, hat die Direktion Lohnerhö hungen von 15.000 Zloty zugestanden, was genau der Forderung der offiziellen Gewerkschaft OPZZ entspricht. Überdies habe man den Streikenden Straffreiheit angeboten und die Wiedereinstellung entlassener Aktivisten der verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc versprochen. Abgelehnt wurden offenbar die Forderungen der Streikenden nach Zulassung der Solidarnosc auf betrieblicher Ebene wie auch nach Freilassung politischer Gefangener. Das dreistündige Gespräch der Konfliktparteien am Samstagabend, das auf Vermittlung der Kirche zustande kam, war das erste seit Beginn des Ausstandes. Nachdem aber keine Einigung erzielt werden konnte, wurde für Sonntagnachmittag in der nach wie vor abgeriegelten Werft, die man zwar verlassen, aber nicht betreten darf, eine zweite Verhandlungsrunde vereinbart. Was in der Werft abläuft, erfuhren die Bürger in Gdansk am Samstag zum Teil live. Auf einem Tonband, das schwarz in die Abendnachrichten des lokalen Fernsehsenders eingeblendet wurde, war zu hören, wie Arbeiterführer Lech Walesa das Wort an die Streikenden richtete: „Wir haben nicht erreicht, wofür wir gekämpft haben, deshalb streiken wir weiter. Ich werde der letzte sein, der das Werftgelände verläßt.“ Den Einwohnern von Gdanzk dankte der Friedensnobelpreisträger für die heimlichen Lebensmittelsendungen in die Werkshallen, die den streikenden Arbeitern das Aus harren ermöglichten. Aus Kirchenkreisen verlautete inzwischen, der Klerus habe die Zusage erhalten, daß die Streikenden Verpflegung bekämen. Adam Mischnick, prominenter Vertreter der oppositionellen Intelligenzia äußerte sich am Samstag zuversichtlich. Sollte es in Gdansk zu einer Verständigung kommen, bestünde Aussicht auf Verständigung im ganzen Land. Trotz des Dialogs, der inzwischen geführt wird, gehen die Verhaftungen und Festnahmen im Land weiter. In den vergangenen Tagen sollen über 500 Oppositionelle und Gewerkschafter festgenommen worden sein, die zum Teil allerdings nach 48 Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. Jedoch ist die gesamte Führungsspitze der Solidarnosc - mit Ausnahme von Walesa und drei untergetauchten Gewerkschaftern - in Polizeigewahrsam. Landesweit wurden in den vergangenen Tagen Hausdurchsuchungen vorgenommen, vielen Oppositionellen wurde das Telefon abgesperrt. Inzwischen wurden auch die ersten Oppositionellen in Schnellgerichtsverfahren abgeurteilt. Der Leiter der Solidarnosc in der Region Gdanzk, Bogdan Lis, wurde für schuldig befunden, zum Streik auf der Lenin–Werft aufgerufen zu haben, und zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Solidarnosc– Sprecher Janusz Onyszkiewicz muß sechs Wochen hinter Gitter, weil er in Interviews mit BBC, Radio Liberty und Radio Free Europe falsche Informationen verbreitet habe, um Unruhe zu schüren. In Warschau wurde der örtliche Solidarnosc–Leiter Henryk Wujec festgenommen. In Nowa Huta wurden die ersten Arbeiter abgeurteilt, die sich seit dem Angriff der ZOMO–Miliz auf die Stahlhütte in Haft befanden. Sie erhielten Gefängnisstrafen von zwei Wochen bis zu drei Monaten. Einige müssen 80.000 Zlotys bezahlen, was rund zwei Monatsgehältern entspricht. Trotzdem haben in Nowa Huta sehr viele Arbeiter den Aufruf des neuen Streikkomitees befolgt und sind der Arbeit ferngeblieben. Die Direktion hat ihnen die Entlassung angedroht. Ein stellvertretender Direktor der Stahlhütte versicherte am Samstagabend in einem Rundfunkinterview, man helfe sich mit Arbeitskräften aus anderen Betrieben und mit Wehrpflichtigen. thos