Deutsche Sozialdemokratie im Fernsehen Lieber Genosse Willy Brandt!

Deutsche Sozialdemokratie im Fernsehen

Lieber Genosse Willy Brandt!

Sie haben Zörgiebel miterlebt und wie der auf einunddreißig, glaube ich, wenn ich mich nicht täusche, SPD-Wähler tödlich halten ließ, und Sie haben Noske vor seiner Verproviantierung durch die Nazis geschaut. Womöglich haben Sie live mitgekriegt, wie der SPD-Reichtstagspräsident Löbe, den Sie ein paar Exiljahre später mit ehrenbegraben halfen, Tucholsky den presseausweisverbilligten Zutritt zum Reichstag verwehrte. Sie kennen die historische Rolle der deutschen Sozialdemokratie, eine einzige Wende, ja persönlich, denn Sie knieten in Polen nieder und dachten dabei an „the berufsverbot“ daheim. Aber Sie waren, wie Wehner, immerhin mal jemand, ja, einer, der körperlich kapieren mußte, daß Klassenkampf keine Neurose ist und daß derselbe keine Stunde Null geschweige damit verbundenen Unfug kennt.

Deswegen also: Warum lassen Sie persönlich vor den Fernsehkameras des Senders Freies Berlin sich zum sozialdemokratischen Altersnarren machen? Warum gebieten Sie dem Fremdenverkehrskomitee Ihrer Partei nicht Einhalt?

Warum darf ein Schauspieler einen Text verlesen, in dem nicht die Nazis den Reichstag angesteckt haben, sondern der Reichstag, dem Ihr, Tucholsky den presseausweisverbilligten Zutritt verweigernder Genosse Löbe präsidierte, irgendwie als Datum für Sozialkunde abgebrannt ist? Warum, Willy Brandt, dulden Sie diesen Dreck? Ich kann doch, lieber Herr Genosse Brandt, wenn mir die restlose Verrottung der westdeutschen Sozialdemokratie nicht absolut wurschtigus ist, den sich leider logisch vom Klassenkampf ableitenden Klassenfeind nicht zum „Festakt“ bitten.

Ein völlig normales reaktionäres Bürscherl namens Jenninger hält die Laudatio auf die diversen eindeutigen Sozialistengesetze und daß die deutsche Sozialdemokratie sich brav gewaltlos dran gehalten habe. Ein ganz einfacher deutscher Kommißschädel namens Dregger, dessen ideeller ideologischer Gesamtvater Sie, lieber Herr Genosse Willy Brandt, als Deserteur am angesagten Faschismus plitschplatschnachfüllpack an die Wand gestellt hätte, applaudiert während der Fernseh-Festakt-Verhurung des auf dem Kudamm Streichhölzer verkaufenden minderjährigen sozialdemokratischen Mädchens. Und Ihr West-Berliner Nachfolger, eine präzise sich für nichts interessierende Lusche namens D'gen, lacht sich (schauen Sie sich das Video an, Willy Brandt, schauen Sie sich das Video an!) „schlapp“ über den Musikvortrag anläßlich des 125sten Geburtstages der SPD, in welchem die Antifaschisten und Lohnarbeitvertreter zu konzentriertem weichen Wasser werden, das die harten Lager-Steine namens Buchenwald, IG Farben, Daimler, Dachau, Auschwitz, Bergen Belsen, Mauthausen dann schon irgendwie brechen wird. Irgendwie oder gesummt oder mitgepfiffen oder

-gemurmelt.

Lieber Herr Genosse Willy Brandt! Warum sehen Sie sich diesen Dreck duldsam an? Warum gebieten Sie nicht Einhalt? Sehen Sie nicht, daß als Zeugen für die deutsche Sozialdemokratie eine Fechtmeisterin, ein Dichter, zwo sogenannte Kabarettisten, eine sogenannte Kabarettistin „her“ „halten“ müssen? Kein einziger Knast, keine „Sozial„ -„Hilfe“, keine Landwirtin, kein Atomstromprolodepp, nicht einmal das Glotzsche aufgeklärte Rüstungsfacharbeiterarschloch haben wir im Festakt, nur zwo sogenannte von einer Werbeagentur hinkommandierte sogenannte Kabarettisten, eine sogenannte Kabarettistin, eine Fechtmeisterin und einen sogenannten deutschen Dichter, der uns was über den „Revisionismusstreit“ Karl Krautski versus Helmut Hollodero erzählt, aus jener Zeit, so Sozialdemokraten den aufrechten Waffengang einstudierten, bevor sie, von den Nazis auf ihre vaterlandslose Gesellenzeit angesprochen, im Reichstag die Hemdbrust aufrissen und auf die französischen Einschußlöcher zeigten.

Ja, zeigten. Was, lieber Herr Genosse Willy Brandt, ich aber lediglich sagen wollte, war denn dann doch nur dies, ja dies: daß Sie sich vom Fremdenverkehrskomitee Ihrer Partei nicht zum sozialdemokratischen Altersnarren machen lassen dürfen. Daß mit der westdeutschen Sozialdemokratie bloß Staat zu machen ist, geschenkt. Aber speziell Sie sähe ich nicht gern so mit Bebels Uhr am Bund (lieben Gruß an ihre Frau Brigitte; wir begneten uns früher öfters bei Pressekonferenzen in Sachen „Bund freies Deutschland“, einer von Springer und Walden und Löwenthal gefietscherten Irrsinnstruppe). Apropos: Willy, stoppen Sie die Bundesnervenklinik in Ihrer Partei! Werfen Sie Gläser, Brandt! Scheißen Sie vor Publikum in die SPD-Songkoffer! Fort mit Kaberett und Dichtern! Her mit der Hinwendung der SPD zum normalen deutschen Elend!Horst Tomayer